Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
nach dem Treffen sofort nach Dartford zurück muss.«
Meine Worte wurden mit unterschiedlichen Reaktionen aufgenommen, keine davon erfreut. Arthur und Edward protestierten mit lauter Enttäuschung. Gertrude starrte mich völlig entgeistert an. Henrys betroffenes Gesicht jedoch bekümmerte mich am meisten.
»Fühlt Ihr Euch denn bei uns nicht wohl, Joanna?«, fragte er traurig. »Ich dachte, Ihr würdet gern länger bleiben wollen.«
Gerade die Gespräche mit Henry Courtenay hatte ich während meines Aufenthalts in Red Rose am meisten genossen. Manchen Abend hatte ich mit ihm in seinem Studierzimmer verbracht, wo er mit großem Enthusiasmus über sein Lieblingsthema gesprochen hatte – das Leben der ehemaligen Könige von England –, während er abwechselnd die beiden Hunde kraulte, die um seine Aufmerksamkeit buhlten. So hatte ich mir einmal die Abende mit meinem Vater vorgestellt. Nach seinem Tod im letzten Winter hatte ich geglaubt, diese familiäre Vertrautheit wäre für immer verloren. Henry hatte mir ein Stück davon wiedergegeben.
Arthur wurde immer erregter. »Nein! Nein, ich will hier nicht weg.«
»Reg dich doch nicht so auf, Arthur«, versuchte ich, ihn zu besänftigen. »Es wird sich alles finden.« Ich hätte ihn nicht so unvorbereitet mit dem Thema unserer Abreise konfrontieren dürfen.
Das Gespräch wandte sich wieder Gertrudes Einladung zu. Die Herzogin von Suffolk würde ihr leider nicht folgen können, berichtete Gertrude. Da ich wusste, dass der Herzog von Suffolk als engster Freund des Königs galt, bedauerte ich das nicht sonderlich.
Doch Gertrude fügte hinzu: »Die Herzogin hat mir geschrieben, wie leid es ihr tut, dass sie verhindert ist. Sie hätte von Herzen gern Eure Bekanntschaft gemacht.«
»Wieso sollte ihr daran etwas liegen?«, fragte ich beklommen.
»Ich nehme an, im Andenken an ihre Mutter, Maria de Salinas«, antwortete Gertrude.
Meine Hand um das Messer, mit dem ich gerade ein Stück Fasan abgeschnitten hatte, spannte sich. Einen Moment lang war ich nicht mehr in diesem behaglichen, schön ausgestatteten Speisezimmer, sondern in den kalten, schäbigen Räumen auf Kimbolton Castle, wo die vom Hof verbannte Königin Katharina von Aragón im Sterben lag. Ich pflegte sie dort gemeinsam mit Maria de Salinas, ihrer treuesten Hofdame, die, wie meine Mutter,als junges Mädchen aus Spanien gekommen war und einen englischen Edelmann geheiratet hatte. Blind vor Schmerz hatten wir uns weinend in den Armen gelegen, als die Königin die Augen für immer geschlossen hatte.
»Lady Willoughby ist tot«, sagte ich leise. Ich wusste, dass Maria nicht einmal ein Jahr später der Königin ins Grab gefolgt war. »Aber ja, um ihretwillen würde ich ihre Tochter gern kennenlernen.«
Gertrude sah ihren Mann fragend an. Er nickte. »Die Herzogin ist sehr jung, noch nicht einmal zwanzig«, sagte sie. »Sie ist Suffolks vierte Ehefrau und, ich sage es mit Bedauern, eine energische Befürworterin der religiösen Reformation.«
Während die anderen sich ihrem Mahl widmeten, dachte ich über Catherine Brandon, Herzogin von Suffolk, nach. Wie konnte sie einer Glaubenslehre anhängen, in der ihre Mutter und die von ihr verehrte Königin einen ketzerischen Irrweg gesehen hatten?
Nach dem Essen begleitete ich, wie gewöhnlich, Arthur in sein Zimmer, um noch etwas Zeit mit ihm allein zu verbringen. Er hatte nach der Szene beim Abendessen seine Unbekümmertheit wiedererlangt; ich jedoch war beim Spiel mit ihm nicht bei der Sache.
Ich fühlte mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Das Vertrauen, das mich während der ersten zwei Wochen in Red Rose getragen hatte, war dahin. Nach der Erschütterung am Morgen im Rittersaal hatten sich immer stärkere Unsicherheit und Verwirrung eingestellt. Mich Henry anzuvertrauen bot sich keine Gelegenheit. Er hatte sich gleich nach dem Essen mit Charles zur Besprechung irgendwelcher drängenden Angelegenheiten zurückgezogen, und solche Sitzungen dauerten meist Stunden. Aber vielleicht wäre es ein erster Schritt zur Wiederherstellung des Vertrauens, wenn ich mich Gertrude offenbarte und mit ihr, wenn auch nicht über meine Angst vor Prophezeiungen, so doch über die Erscheinungen sprach, die mich im Rittersaal heimgesucht hatten.
Nachdem ich Arthur zu Bett gebracht hatte, begab ich mich ein weiteres Mal zu Gertrudes Gemächern.
Aus ihrem Badezimmer hörte ich Frauenstimmen. Sie war die einzige Person, die ich kannte, die sich einen eigenen Baderaum hatte einrichten
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