Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Stafford, was tut Ihr da?« Richards Stimme schallte durch die Galerie. Ich hörte seine Schritte, als er mir nachlief.
Ohne mich umzudrehen zog ich die schwere Tür auf, doch einjunger Diener schlug sie mir vor der Nase wieder zu und stellte sich mir in den Weg.
»Steht Ihr in Bischof Gardiners Diensten?«, fragte ich.
Er nickte, verwundert, als verstünde er nicht, warum ich diese Frage stellte, deren Antwort doch offenkundig war. »Dies ist der Winchester-Palast«, sagte er.
Im selben Augenblick hörte ich die Stimme des Herzogs von Norfolk, der Richard gebot, mich zu ihm zu bringen.
Mit anklagendem Blick fasste Richard mich unsanft am Arm und zog mich durch die Galerie. Ich erinnerte mich meines letzten Zusammentreffens mit Bischof Gardiner in Dartford. Damals, an meinem letzten Tag im Kloster, hatte er mit Schmeichelei und Drohung versucht, mich weiterhin zu Spitzeldiensten zu verpflichten – doch ohne Erfolg. Wenn Ihr mir trotzt, werdet Ihr das bitter bereuen. Deshalb also hatte Norfolk sich solche Mühe gegeben, mich Dudley zu entreißen – um mich erneut dem Bischof von Winchester auszuliefern.
Als wir die Tür am Ende der Galerie erreichten, klopfte Richard zweimal, dann stieß er sie auf. Ich versuchte, alle Gefühle in mir zu ersticken. Es war immer ein Fehler, Gardiner gegenüber Furcht zu zeigen.
Ich erwartete, zwei Personen zu sehen: Gardiner und seinen wichtigsten Verbündeten, den Herzog von Norfolk, und in der Tat waren beide Männer anwesend. Norfolk stand mit düsterer Miene, die Hände auf dem Rücken, an einem der Bleiglasfenster. Bischof Gardiner thronte in wallendem weißem Gewand und edelsteinfunkelnder Mitra in einem prunkvollen Sessel auf einem Podium. Er hatte sich nicht verändert. Der Blick seiner hellbraunen Augen umfasste mich mit derselben durchdringenden Schärfe, die ich kannte, immer auf der Suche nach einem Zeichen von Schwäche.
Doch in einem zweiten Sessel auf dem Podium saß noch eine Person, eine kleine, verloren wirkende Gestalt, die zu sehen ich nicht im Traum erwartet hatte.
Lady Maria Tudor.
Kapitel 24
In einem tiefen Hofknicks, wie meine Mutter ihn mich gelehrt hatte, noch bevor ich das Lesen lernte, verneigte ich mich vor der ältesten Tochter des Königs.
Sie sah krank aus – nein, schlimmer, leidend. Ihrer weißen Haut war alle Leuchtkraft verloren gegangen, sie wirkte teigig und stumpf. Ihre Augen waren rotgerändert.
Sie breitete die Arme aus, und ich stieg zu ihr aufs Podium. Als ich sie umarmte, war mir, als hielte ich ein zerbrechliches Kind und nicht eine junge Frau von zweiundzwanzig Jahren. Das mit Juwelen besetzte Kruzifix an ihrem Hals drückte so hart gegen mein Brustbein, dass ich glaubte, es würde meine Haut ritzen.
»Ich danke der Heiligen Jungfrau, dass wenigstens Ihr in Sicherheit seid«, flüsterte sie, bevor sie mich losließ, und fügte dann lauter hinzu: »Ich werde Euch immer dafür dankbar sein, Norfolk, dass Ihr das heute Abend zuwege gebracht habt.«
Norfolk verbeugte sich steif. Deshalb also hatte er mich aus Dudleys Gewalt befreit, nicht weil er an meine Unschuld glaubte, sondern weil er sich die Gunst der Prinzessin sichern wollte.
Lady Maria sah mich erwartungsvoll an, dann den Bischof, der neben ihr saß. Obwohl sich mir fast der Magen umdrehte, trat ich vor Gardiner hin, kniete nieder und senkte den Kopf.
Unter gesenkten Lidern hervor beobachtete ich, wie er mir huldvoll die Hand bot. Niederknien reichte nicht. Der Bischof wollte mir auch noch die letzte Geste des Gehorsams abfordern. Bereitwillig Gehorsam leisten und sich dem Vorgesetzten niemals widersetzen – das waren die Leitsätze, die man mich in Kloster Dartford gelehrt hatte. Ich musste sie befolgen.
Ich küsste Gardiners goldenen Ring mit dem Amethysten und unterdrückte nur mit Mühe ein Schaudern, als meine Lippen die glatte weiße Hand streiften.
Sehr langsam zog Gardiner seine Hand zurück, und ich stand auf.
» Benedictite , Schwester Joanna«, sagte er in mildem Ton.
» Dominus« , antwortete ich automatisch.
»Mein treuester Bischof ist nun nach drei langen Jahren nach England zurückberufen worden«, sagte Lady Maria mit einem zitternden Lächeln.
»Ihr ehrt mich mit Eurem Vertrauen und Eurer Gunst«, erwiderte Gardiner.
Die Hand an ihrem Kruzifix sagte sie: »Ihr seid ein großer Berater in allen Dingen des Reiches und ein Reiniger des Glaubens.«
Mir fielen die Worte ein, die ich vor zwei Tagen aus dem Mund Orobas’ gehört hatte: Er sehe
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