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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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etwas erinnere, das mir Tante Virginia sagte. War das erst heute Morgen?
    … wenn du zur rechten Zeit nach Hilfe suchst, dann wirst du sie auch finden.
    Mein Wille ist zu schwach. Aber mein Geist… mein Geist hat gerade noch genug Kraft, um die Hilfe zu erbitten, die ich so dringend brauche.
    »Schwestern… Gefährtinnen der Schwesternschaft…« Meine eigene Stimme kommt mir fremd vor. Sie klingt blechern und wie aus weiter Ferne, aber trotzdem fahre ich fort, schließe die Augen und versuche, Samaels Näherrücken aus meinen Gedanken zu verbannen. »Ich rufe euch, Schwestern. Eine der euren bittet um Hilfe. Rettet mich, damit ich uns alle retten kann.«
    Die Absurdität meiner Bitte angesichts des heranrasenden Verderbens wird mir nicht bewusst. Die Zeit vergeht - sind es Sekunden, Minuten, Stunden? -, und schließlich ergebe ich mich in mein Schicksal, seufze tief auf und warte mit der mir verbliebenen Würde auf das, was mich erwartet.
    Doch dann fühle ich einen heftigen, heißen Wind, gefolgt von einem Krachen und Knistern, das aus dem Himmel zu kommen scheint. Ich öffne die Augen und schaue nach oben. Eine Frau taucht auf und bei ihrem Anblick
scheinen Samael und seine Seelen ihr Tempo zu verlangsamen. Sie bleibt etwas abseits stehen, etwa zwischen mir und der heranrückenden Armee. Der störrische Zug um ihr Kinn und die tiefgrünen Augen kommen mir irgendwie bekannt vor.
    Die namenlose Frau steht zwischen mir und den Seelen, und da tauchen wie aus dem Nichts andere Frauen aus dem Himmel auf, schweben heran und bilden einen Ring um Samael und die Seelen. Ätherische Gewänder wirbeln um ihre durchscheinenden Beine, während sie ihre Arme heben, bis sich ihre Hände beinahe berühren. Glühend weiße Flammen zucken aus ihren Handflächen und schießen empor, schließen den Kreis aus mystischem Feuer, der das Untier von mir abhält.
    Die Frau, die als Erste aufgetaucht ist, schwebt mir am nächsten. Während mir lediglich ein schwaches lilafarbenes Licht entströmte, ist ihres purpurrot, breitet sich aus, ergießt sich in die Landschaft, bis es durch den Kreis dringt, in dem die Reittiere der Seelen panisch in die Höhe steigen.
    Ihre Lippen bewegen sich nicht, und doch dringt ihre Stimme aus der Ferne zu mir. Sie hallt in meinem Geist wider, und ich erkenne, dass sie die Worte nicht laut ausspricht. »Geh, Kind. Sammle deine Kräfte. Wir werden uns wiedersehen.«
    Samael heult auf, hebt in der Mitte des Bannkreises sein Schwert. Es glüht orange, Funken springen von der Klinge, fallen knisternd gegen den Lichtkreis der Schwesternschaft,
und obwohl für mich kein Zweifel daran besteht, dass sie in der Lage sind, ihn aufzuhalten, will ich ihre Macht nicht über Gebühr strapazieren. Ich nicke der Frau zu, als Zeichen, dass ich ihre Worte vernommen habe, und dringe mit einem letzten Anflug von Kraft durch die Wand des Hauses.
    Sonia und Luisa sitzen auf dem Boden neben dem Sofa. Sonia hält meine schlaffe Hand und hat die Augen geschlossen. Ihre Lippen bewegen sich in stillem Gebet. Mit einem Aufkeuchen, das ich in beiden Welten spüre, lasse ich mich in meinen wartenden Körper fallen, sauge die Luft ein, als ob ich seit Ewigkeiten nicht mehr geatmet hätte und gerade erst wiederbelebt worden wäre.
    »Sie ist wieder da! Sie ist zurückgekommen!« Luisas Stimme steigt vom Boden neben mir auf.
    Ich fühle kaum Sonias sanfte Berührung auf meiner Hand, als ob meine Sinne noch nicht gänzlich wieder in meinen Körper zurückgekehrt seien. Ich will zu ihnen sprechen, will ihnen sagen, dass wir in Vaters Zimmer gehen und dort nach der Liste suchen müssen, aber aus meinem Mund kommen nur unverständliche Töne und Geräusche, die nicht im Entferntesten Worten ähneln. Entmutigt lasse ich die Schultern hängen.
    »Lia? Lia?«, höre ich Sonia mit fester Stimme sagen. »Lia. Hör mir zu.« Sie nimmt mein Kinn in ihre Hand und dreht mein Gesicht zu sich. Dann schaut sie mir mit solcher Entschlossenheit in die Augen, dass ich den Blick nicht abwenden kann. In ihnen liegt der Friede des
Ozeans der Anderswelten. »Du musst ruhig bleiben. Es ist ganz normal, dass man nach einer solchen Reise nicht gleich sprechen kann. Hast du mich verstanden?«
    Ich starre sie nur an. Sprechen kann ich ja nicht.
    »Alles in Ordnung, Lia? Du musst mir vertrauen. Deine Sprache wird gleich wieder da sein, genauso wie das Gefühl in deinem Körper. Du musst langsamer atmen und abwarten. Du musst deinem Geist die Gelegenheit geben, das, was

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