Die Prophezeiung der Schwestern - 1
aufplatzt, sich öffnet, entfaltet und mit seiner Kraft jeden Winkel und jede Spalte meines Körpers erfüllt. Als ich nach unten schaue, entströmt meiner Haut ein lavendelfarbenes Licht, meinen Augen, meinem Mund, wird mit jedem Augenblick stärker, während mein Körper eine Macht ausstrahlt, die ich noch nie zuvor spürte, ja mir nicht einmal vorstellen konnte. In kleinen Wellen fließt sie aus mir heraus und verstärkt sich zu riesenhaften, widerhallenden Wogen.
Wenn die Seelen irgendeinen Laut von sich geben, so wird er von der Musik meiner eigenen Kraft übertönt - und von dem dumpfen Herzschlag, der in mir und Samael pocht. Ich glaube schon, dass dies der Moment sein könnte, meine einzige Chance, in die Sicherheit von Birchwood zu fliehen, während die Seelen von jener unbekannten Macht gebannt sind, die ich in mir heraufbeschwören konnte. Aber dann höre ich die Stimme.
» Mistress… lasst das Chaos herrschen… öffnet das Tor .«
Instinktiv schüttele ich den Kopf. Ich wage es nicht, auch nur ein Wort zu sagen, aus Angst, dass es den zerbrechlichen Bann zerstören könnte, mit dem ich meine Kraft aufrechterhalte.
» Macht und Frieden werden Euch gehören… öffnet Eure Arme, oh Engel des Chaos, und lasst das Untier wüten, wie es ihm beliebt… öffnet das Tor .«
Die Stimme wird zwischen den Seelen hindurch zu mir getragen, zieht über den seidigen Himmel. Sie bahnt sich ihren Weg durch das lavendelfarbene Licht, das die Seelen nicht zu durchdringen vermögen. Es ist nur eine Stimme. Es sind nur Worte. Aber sie sprechen zu mir auf eine Art, die Warnung und Zärtlichkeit zugleich ist.
Immer noch fließt das Licht aus meinem Körper, aber meine Kraft schwindet, als Samaels Worte ihren Weg in mich hineinfinden, in meinen Geist, tiefer noch, zu jenem unbekannten Ort, der nur darauf wartet - nur auf seine Stimme. In der Stimme liegt das Versprechen der Freiheit. Eine Erlösung von der Schlacht, die mir endlos scheinen will, obwohl ich sie erst seit kurzer Zeit schlage. Erlösung von einer Zukunft, die nur aus Kämpfen besteht, von einer Zukunft, in der ich nichts von dem finden werde, was ich mir am meisten wünsche - Sicherheit, Liebe, Hoffnung.
Aber das Samenkorn entfaltet sich weiter, erreicht einen Punkt, wo ich glaube, dass es nicht mehr weiterwachsen kann - und doch hört es nicht auf. Es fühlt sich an, als ob seine Macht mich zerreißt, meinen Körper und meine Seele. Und mit diesem letzten Aufbäumen an Stärke finde ich die Entschlossenheit, die ich brauche.
Ich nehme mir nicht die Zeit zurückzublicken. Stattdessen drehe ich mich innerhalb des lavendelfarbenen Lichts und rufe diese mystische Kraft an, die ich auf so wundersame Weise besitze. Ich befehle ihr, mich, so schnell es irgend möglich ist, nach Hause zu bringen. Ich befehle ihr,
mich nach Birchwood zu geleiten, Samael und seine Armee lange genug aufzuhalten, damit ich mich mit meinem Körper vereinigen kann, der auf dem Sofa in der Bibliothek liegt und auf mich wartet.
Auf der Woge aus Licht rase ich auf den grauen Schemen in der Ferne zu. Nicht lange, und ich erkenne deutlich, dass es sich tatsächlich um Birchwood handelt. Es gab also einen Grund, warum Vater mich in der Welt treffen wollte, die meinem Zuhause am nächsten ist. Er wusste, dass sie kommen würden.
Das Aufbrüllen hinter mir wandelt sich zu einem irren Kreischen. Ich drehe mich nicht um, obwohl der Drang, es doch zu tun, schier übermächtig ist. Ich fliege einfach weiter und die Felder unter mir rasen nur so dahin. Ich bin dem Haus schon ganz nah, da beginnt meine Kraft zu schwinden. Es kommt nicht plötzlich, sondern als langsame Erschöpfung, die in mich hineinsickert und das Licht abschwächt, das aus meinem Körper fließt. Ich bin so nah, nah genug, um die Rautenform der Bleiglasfenster zu erkennen. Nah genug, dass ich das Schimmern der Lampen im aufziehenden Dämmerlicht sehen kann. Aber hinter mir ertönt ein widerhallendes Getöse, und als ich mich endlich umdrehe, weiß ich, warum mir die Flucht nicht gelingen konnte.
Samael ist mir gefolgt. Er hat sich an die Spitze der Seelen gesetzt, und das Pochen des Herzens wird lauter, als er auf mich zukommt. Die Macht der Seelen ist nichts im Vergleich zu Samaels Allmacht. Seine Kraft und sein Zorn
sind unendlich, unerschöpflich, erheben sich in einer Wolke aus Bosheit, die mich erstarren lässt.
Ich schwebe vor dem Fenster zur Bibliothek. Mein Wille sickert wie Regen aus mir heraus, als ich mich an
Weitere Kostenlose Bücher