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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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Schultern, als würde sie sich jetzt erst der Kühle des Abends bewusst werden.
    Ich denke an die Kinder, an diejenigen, die Vater aus England und Italien hierher brachte, und an die anderen, die er nicht fand. »Oh, und wir haben so viel zu besprechen! Und so wenig Zeit! Eigentlich gar keine Zeit, weil du hier bist bei Mrs Millburn, Luisa in Wycliffe und ich in Birchwood und …« Ich verstumme, weil mir gerade eine Idee kommt.

    »Und was? Gute Güte, Lia! Ich erfriere, wenn wir uns nicht gleich verabschieden!«
    Ich nicke. »Wir brauchen mehr Zeit miteinander, wir drei. Das ist jetzt das Wichtigste. Überlass alles mir. Ich werde mich darum kümmern.«
     
    Sonia und ich verabschieden uns voneinander, und ich bin schon fast wieder bei der Kutsche, als ich fühle, wie jemand die Hand auf meinen Arm legt. »Würden Sie mich bitte sofort …« Der Rest des Satzes bleibt ungesagt, weil ich mich in dem Versuch, die Hand abzuschütteln, umdrehe und geradewegs in James’ Gesicht schaue.
    »Lia!«, sagt er und in seinen Augen liegt ein Ausdruck, den ich dort noch nie gesehen habe. Es sieht fast aus wie Wut.
    »James! Was tust du …?« Ich schaue mich auf der Straße um und überlege fieberhaft, wie ich meine Anwesenheit in der Stadt erklären soll. »Was tust du hier?«
    »Zufällig wohne ich hier. Und ob du’s glaubst oder nicht: Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht in diesen Straßen unterwegs bin.« Seine Augen funkeln. »Du dagegen bist ziemlich weit weg von zu Hause.«
    Seine Worte entfachen einen stillen Zorn in meinen Adern, und wieder fühle ich den Druck seiner Finger, die immer noch mein Handgelenk umklammert halten. Es kostet mich Mühe, meinen Arm wegzuziehen, aber ich tue es trotzdem. Dann trete ich zurück und merke, wie mir der Ärger in die Wangen steigt.

    »Ich soll also wie ein anständiges Mädchen zu Hause bleiben, ja? Willst du das damit sagen? Soll ich mich mit Näharbeiten beschäftigen und darauf achten, dass mein zarter Teint bloß nicht zu viel Sonne abbekommt? Oh, du bist so … so …!«
    Der gleiche Zorn, der in mir brennt, blitzt in seinen Augen auf. Aber gleich darauf schüttelt er den Kopf und senkt die Augen zu Boden. »Natürlich nicht, Lia. Natürlich nicht.«
    Einen Moment lang sagt er nichts und ich blicke zu Edmund hinüber. Wäre es irgendjemand anderes, der mich in aller Öffentlichkeit angesprochen hätte, wäre mir Edmund längst zu Hilfe geeilt und hätte mich zur Kutsche gebracht. Aber jetzt, da sich unsere Blicke treffen, senkt er verlegen die Augen. James’ Stimme, die nun sanfter klingt, zieht wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.
    »Kannst du meine Sorge denn nicht verstehen? Du bist so … distanziert seit dem Tod deines Vaters. Ich weiß, es war ein Schlag für dich, aber ich kann mir nicht helfen: Ich habe das Gefühl, dass da noch etwas anderes zwischen uns steht. Und jetzt … Nun, du läufst ganz allein in der Stadt herum, triffst dich mit Leuten, die ich nicht kenne, und …«
    Mein Mund klappt entgeistert auf. »Du bist mir gefolgt? Du bist mir die ganze Zeit lang gefolgt?«
    Er hebt abwehrend die Hände. »So ist es nicht. Ich war in der Bibliothek, als ich dich sah, wie du das Gebäude verlassen hast. Die Frau und das Mädchen, die bei dir waren, habe ich noch nie gesehen. Du hast keine neuen Bekanntschaften
erwähnt. Ich habe nicht nachgedacht. Ich bin dir einfach gefolgt. Ich war neugierig und … Nun, ich mache mir in letzter Zeit einfach Sorgen um dich, weil du dich so merkwürdig benimmst. Kannst du nicht verstehen, warum ich es als meine Pflicht erachte, auf dich aufzupassen?«
    Seine Worte versetzen mir einen Stich. Ich höre den Schmerz, der in ihnen liegt, und ich kann mich der Wahrheit nicht verschließen. Ich habe ihn ausgeschlossen, habe ihn von der Prophezeiung ferngehalten, während ich selbst immer weiter in ihre Tiefen hineingezogen wurde. Würde ich nicht das Gleiche empfinden wie er? Würde ich nicht auch alles unternehmen, um herauszufinden, warum sich der Mensch, den ich liebe, mit einem Mal so verändert hat?
    Ich hole tief Atem und spüre, wie mich aller Zorn verlässt. Ich wünschte, es wäre nicht so, denn ich ziehe die Wut, die mein Blut zum Kochen bringt, diesem neuen Gefühl vor, dieser Hoffnungslosigkeit, die ins Unermessliche zu wachsen scheint und mich davon überzeugen will, dass ich nie meine Rolle in der Prophezeiung mit der Liebe zu James in Einklang bringen kann.
    Ich nehme seine Hand und schaue ihm in die Augen. »Du

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