Die Prophezeiung der Schwestern - 1
da!« Ich sause zur Eingangstür, reiße sie auf und warte ungeduldig, bis Edmund Luisa und Sonia aus der Kutsche geholfen hat.
Ich werde meine Gäste allein begrüßen. Tante Virginia ist mit Margaret beschäftigt, und Alice, die noch verschlossener ist, seit sie von Sonias und Luisas Besuch erfuhr, befindet sich vermutlich auf einem langen Spaziergang und schmollt.
Luisa springt die Stufen hinauf wie ein junges Hündchen. Sie sprüht vor Begeisterung und gibt sich keine Mühe, ihre Freude zu verbergen. Hinter vorgehaltener Hand muss ich lachen.
»Ich kann nicht glauben, dass Miss Gray mir erlaubt hat, dich zu besuchen! Ich dachte schon, ich müsste wieder mal ein Erntedankfest in dem düsteren Speisesaal von Wycliffe verbringen. Du hast mir das Leben gerettet!«
Ihr Lachen ist ansteckend, und ich merke, wie es in meiner Kehle gluckst. »Unsinn! Ich bin so froh, dass ihr beide kommen konntet.« Ich beuge mich vor und küsse ihre kühle Wange, ebenso die von Sonia, die jetzt auch den Treppenabsatz erreicht. »Seid ihr bereit für die Ferien?«
Äußerlich lächelt Sonia, aber innerlich strahlt sie, sodass sogar der graue Tag erhellt wird. »Oh ja! Ich bin seit Tagen nicht mehr ich selbst! Ich glaube, ich habe Mrs Millburn zur Verzweiflung getrieben.«
Ich führe sie ins Haus. Der Gedanke an ihre Gesellschaft während der nächsten drei Tage erfüllt mich mit einem warmen Glücksgefühl, genauso wie die Hoffnung,
dass wir gemeinsam die Schlüssel aufspüren werden. Unter viel Gelächter verspeisen wir unser Mittagessen und ziehen uns dann gesättigt und glücklich ins Wohnzimmer zurück. Tante Virginia hält Henry freundlicherweise von uns fern, damit wir unter uns sein können. Von Zeit zu Zeit späht er um die Ecke und wirft verstohlene Blick auf Sonia, aber wir tun so, als bemerkten wir es gar nicht. Wir reden und lachen, und eine Zeit lang glaube ich fast, wir seien drei ganz normale Mädchen, die sich um nichts anderes kümmern als um Kleider und Bücher und attraktive junge Männer. Erst als Luisa zur Wand neben dem Kamin hochschaut, denke ich wieder daran, warum wir zusammengekommen sind.
»Der Gentleman dort«, sagt sie und deutet auf das Porträt an der Wand. »Er kommt mir bekannt vor. Wer ist das?«
Ich schlucke und fühle, wie das Band, das uns aneinanderfesselt, sich straffer zieht. »Mein Vater.«
Sie nickt langsam. »Vielleicht habe ich ihn in Wycliffe gesehen. Bevor …«
Ich nicke. »Vielleicht.« Wir sind doch nicht ganz so normal, wie es den Anschein hat, und ich frage mich, wie ich Sonia und Luisa die eine Sache beibringen soll, die immer noch zwischen uns steht.
Sonia legt den Kopf schräg und ein fragender Ausdruck überzieht ihr ernsthaftes Gesicht. »Was ist los, Lia? Du bist so still geworden.«
Ich schaue zur Tür hin. Die Eingangshalle ist menschenleer. Alice glänzt durch Abwesenheit und auch Henry hat
sich geraume Zeit nicht mehr blicken lassen. Trotzdem ist es klüger, Vorsicht walten zu lassen.
»Ich glaube, ich brauche etwas frische Luft. Könnt ihr reiten?«
»Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir ganz und gar nicht.« Sonias Stimme zittert, als sie auf Moon Shadow, der sanftesten Stute im ganzen Stall, auf und ab hopst.
»Unsinn! Du machst das großartig. Wir reiten ja ganz langsam, und Moon Shadow würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Du bist völlig sicher. Ich werde hinter dir reiten und Moon Shadow erledigt den Rest.«
»Tja, du hast gut reden. Du machst so was die ganze Zeit«, murmelt Sonia.
Luisa ist schon ein Stück vorausgeritten. Sie ist die geborene Reiterin, obwohl ich überzeugt bin, dass sie in Wycliffe kaum Gelegenheit bekommt, auf einem Pferd zu sitzen. Ein Ausritt scheint mir die beste Gelegenheit, vertraulich miteinander zu sprechen, und es war nicht schwer, meine beiden Freundinnen mit Reitkleidung auszustatten. Aber wenn ich mir Sonia betrachte, die wie ein Kartoffelsack auf Moon Shadows Rücken hängt, kommen mir Zweifel, ob meine Entscheidung tatsächlich so glücklich war. Stumm reite ich hinter ihr und lenke mein Pferd erst dann neben sie, als ich merke, wie sich ihre Schultern ein kleines bisschen entspannen und ihr Körper sich langsam dem Rhythmus des Pferdes anpasst.
»Fühlst du dich jetzt besser?«, frage ich grinsend.
Sie stößt ein kurzes Grunzen aus und starrt weiterhin konzentriert geradeaus.
Vor uns zügelt Luisa Eagle’s Run und hat keine Mühe, den Wallach zu wenden, obwohl der sich nur allzu gern gegen die Hand
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