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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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eure, ist es doch ähnlich genug, um Fragen aufzuwerfen. Die Tatsache, dass wir alle in derselben Stadt leben, ist sogar noch merkwürdiger, findet ihr nicht auch?«
    Sonia lässt kein Zeichen der Zustimmung erkennen. Sie fängt einfach an zu sprechen. »Meine Eltern sind Engländer. Sie … Nun, sie waren ziemlich mittellos.« Ihr Lachen ist verzerrt, nur ein Schatten ihrer üblichen ruhigen Gelassenheit. »Wie auch immer, sie brauchten keine Entschuldigung, um mich … loszuwerden. Als ich anfing, … nun, ihr wisst schon, all diese merkwürdigen Sachen zu sehen und zu tun, glaubten sie, ich wäre wohl glücklicher, wenn ich von Leuten meines Schlags umgeben wäre. Das will mir zumindest Mrs Millburn weismachen. Ich glaube viel eher, dass sie erleichtert waren, mich nicht länger durchfüttern zu müssen.«
    Ich lächle sie an. »Auf jeden Fall bin ich froh, dass du hier bist, Sonia. Ich hätte diese letzten Wochen ohne deine Freundschaft kaum überstanden.« Scheu erwidert sie mein Lächeln und ich fahre fort. »Aber es kann kein Zufall sein,
dass wir uns alle am selben Ort befinden. Dass wir alle das Zeichen haben. Meine Tante erklärte mir, dass mein Vater nach Kindern suchte, nach Kindern mit dem Zeichen. Er suchte sie überall auf der Welt. Sie sagte mir …« Ich verstumme. Werden sie wütend sein? Werden sie mir die Schuld geben?
    »Was, Lia? Was hat dir deine Tante gesagt?«, fragt Sonia sanft.
    »Sie sagte mir, dass er die Kinder hierher brachte. Dass er dafür sorgte, dass sie nach Amerika kamen. Er brachte zwei hierher, ehe er starb. Eins aus England und eins aus Italien.«
    Luisa blinzelt in die sinkende Sonne. »Aber … warum hätte uns dein Vater hierhaben wollen? Und wie hätte er uns überhaupt finden können? Woher hätte er wissen sollen, dass wir das Zeichen haben?«
    »Ich habe darüber nachgedacht. Du und Sonia, ihr beide habt dieses Zeichen von Geburt an. Ich könnte mir vorstellen, dass es - die richtigen Mittel vorausgesetzt - möglicherweise gar nicht so schwer ist, Kinder mit diesem Zeichen aufzuspüren. Mein Vater war ein einflussreicher Mann und er ließ sich nicht so leicht von einem Vorhaben abbringen. Selbst wenn man eure Zeichen geheim hielt, so gibt es doch Menschen, die sie möglicherweise gesehen haben, nicht wahr? Ärzte, Lehrer, Kindermädchen, Verwandte …« Ich seufze, weil ich mir nicht sicher bin, ob meine Worte tatsächlich einen Sinn ergeben. »Es tut mir leid. Ich weiß es ja selbst nicht genau. Ich habe mir wochenlang
immer wieder dieselben Fragen gestellt. Das ist ein Teil des Rätsels. Es muss einfach so sein.«
    Luisa springt plötzlich auf die Füße und wandert am Ufer des Teichs auf und ab wie ein Tier in einem Käfig, bereit zum Sprung. »Vielleicht sollten wir das alles sein lassen! Was kann schon passieren? Was sollen wir denn weiter in Dingen herumstochern, die wir sowieso nicht verstehen?«
    »Wir können nicht einfach nichts tun, Luisa.« Sonias Worte kommen für mich überraschend.
    Luisa öffnet die geballten Fäuste. Eine Brise vom Wasser her lässt eine kleine Locke ihres rabenschwarzen Haars tanzen. »Warum denn nicht? Warum können wir das nicht?«
    Sonia seufzt, erhebt sich steif, klopft ihren Rock ab und geht auf Luisa zu. »Weil die Visionen immer öfter kommen, seit wir uns gefunden haben. Die Geister sind nicht mehr so leicht abzuweisen. Sie versuchen, mir etwas zu sagen, mich in ihre Welt zu ziehen, und sie werden nicht damit aufhören, bis ich mich ihnen stelle.« Sie nimmt Luisa bei der Hand. »Und sag mir: Verfolgen die Geister nicht auch dich? Hast du nicht bemerkt, dass du immer öfter von merkwürdigen Träumen heimgesucht wirst? Dass du hineingezogen wirst in die Schwingen, die dich an dunkle und beängstigende Orte tragen?«
    Die Verblüffung lässt mich erstarren. Sonia weiß etwas, das ich nicht weiß.
    Luisas Miene spiegelt ihre widerstreitenden Gefühle wider. Dann sackt sie in sich zusammen und schlägt die
Hände vors Gesicht. »Also schön: Ja. Ja!« Mit nackter Angst in den Augen schaut sie zu uns auf. »Aber das heißt doch nicht, dass wir unsererseits etwas tun müssen. Vielleicht sind die Seelen wütend, weil wir so hartnäckig waren. Vielleicht werden sie uns in Ruhe lassen, wenn wir … die Prophezeiung ignorieren, wenn wir aufhören, nach Antworten zu suchen.«
    Das wird nicht geschehen, da bin ich mir sicher. Das Ding, das in den Schatten unserer Träume lauert - in den Schatten meiner Träume -, wartet auf uns. Und es

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