Die Prophezeiung der Schwestern - 1
Schwester in der Dunkelheit meines Leibes heranwuchsen, führten mich die Seelen in meine eigene Dunkelheit. Sie lullten mich mitten am Tag in den Schlaf. In meinen Träumen quälten sie mich mit Schreckensvisionen. Visionen, die mich darüber nachdenken ließen, mir selbst schreckliche Dinge anzutun, obwohl mir klar war, dass ich damit auch deinem und dem Leben deiner Schwester ein Ende setzen würde.
Das Medaillon fand seinen Weg zu meinem Handgelenk, auch nachdem ich es in der Kommode eingeschlossen hatte. Ich vergrub es neben den Ställen, aber auch das nutzte nichts. Schon bald fand ich es beim Erwachen an meinem Arm, obwohl ich es vor dem Schlafengehen nicht angelegt hatte. Ich war mir sicher, dass ich den Verstand verlor.
Wenn ich heute zurückblicke, vermag ich nicht zu sagen, wie ich diese Zeit überlebt habe. Aber ich bin mir sicher, dass ich es ohne die liebevolle Aufmerksamkeit deines Vaters und Virginias nicht geschafft hätte. Sie ließen mich kaum aus den Augen.
Nachdem ihr geboren worden wart, du und deine Schwester, war es die Zartheit eurer Köpfe, das rosige Leuchten eurer Wangen, das tiefe Grün eurer Augen, die mich glauben ließen, dass es vielleicht auf dieser Welt etwas gibt, das
es wert ist, dafür zu kämpfen, selbst wenn es bedeutete, dem Bösen die Stirn zu bieten. Ich dachte, ich könnte es aushalten, nur damit ich bei euch bleiben und euch eine Mutter sein kann.
Und eine Zeit lang schien alles gut zu sein. Ich fühlte immer noch das Drängen der Seelen. Ich reiste immer noch auf den Schwingen, wenn auch nicht mehr so häufig. Aber nichts Schreckliches geschah. Du und deine Schwester wurdet größer, fingt an zu krabbeln, zu laufen, zu sprechen. Meine Familie blieb unbeschadet.
Natürlich weiß ich heute, dass es eine Art Märchen war, diese Jahre, in denen das Medaillon, die Prophezeiung und wir alle friedlich nebeneinander existierten. Und dann merkte ich, dass ich wieder schwanger war. Ich würde noch ein Kind bekommen, obwohl der Arzt mir nach der schweren Geburt von dir und deiner Schwester dringend davon abgeraten hatte. Ich aber war nur froh und glücklich, dass ich eurem Vater möglicherweise endlich einen Sohn schenken konnte.
Und ich war tatsächlich froh - eine Zeit lang. Aber während Henry in mir heranwuchs, wurde ich von einer anderen Dunkelheit heimgesucht, einer, die mich so vollkommen erfasste, dass mir angst und bange wurde. Ich wollte fliehen, meine Tochter. Ich wollte jede Stunde des Tages in den Anderswelten verbringen, und ich wollte die Armee
mit mir zurückholen, so viele Seelen wie möglich, obwohl ich wusste, dass sie ein schreckliches Ziel verfolgen. Ihr Heulen wurde zu einem Gesang, von dem ich nie genug bekommen konnte.
Aber selbst das war nicht das Erschreckendste. Was mich erkennen ließ, wie weit ich schon dem Bösen verfallen war, wie nahe ich dem Wahnsinn gekommen war, war die Gier, mit der ich mich in meine Reisen stürzte. Schon bald zwang ich meinen Körper zu jeder Stunde, still auf dem Bett zu liegen, um mich allein durch meine Willenskraft zu den Schwingen zu begeben. Ich vergaß zu essen, zog mich zurück, um zu schlafen, nur zu schlafen, denn niemals sonst fühlte ich mich so vollkommen, so glücklich. Dieser Umstand war es, der mich am meisten erschreckte.
Als Henry geboren wurde… nun, es war wieder eine schwere Geburt, ganz wie zu erwarten gewesen war. Der Arzt konnte keine weitere Operation mehr vornehmen, und Henrys Füße kamen zuerst. Seine Beine… Ich muss es dir nicht sagen, meine Tochter. Du weißt, was mit seinen Beinen geschah. Die Ärzte zogen ihn so sanft, wie sie nur konnten, heraus, und er wäre gestorben, hätten sie ihn nicht so schnell geholt.
Nach der Geburt war ich sehr krank. Nicht nur müde und schwach, sondern traurig, wütend und böse, als ob alles Gute während Henrys Geburt aus mir herausgeflossen und
von etwas Gemeinem und Üblem ersetzt worden wäre, das in dem Medaillon seinen Ursprung hatte. Für Momente empfand ich eine unbändige Liebe für dich, deine Schwester, deinen Bruder und deinen Vater, aber sie dauerten nicht an, ließen sich nur kurz auf mir nieder wie Schmetterlinge und verschwanden dann wieder.
Ich schlief mehr als je zuvor, und wenn ich erwachte, wusste ich jedes Mal mit einer Gewissheit, die mir Entsetzen und Freude zugleich verursachte, dass ich Seelen mit mir gebracht hatte. Diese Freude, diese Zufriedenheit, führte mir vor Augen, dass ich nicht
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