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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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die Kraft habe, gegen mein Erbe anzukämpfen.
     
    Ich bin schwach. Ich weiß, dass du mich für feige halten wirst, aber wie kann ich etwas aufhalten, was vor Anbeginn der Zeiten seinen Anfang nahm? Wie kann ich allein etwas bekämpfen, das über die Zeitalter eine Schlacht nach der anderen gewann? Und mehr noch: Wie kann ich dieses Erbe, diesen Fluch, an dich weitergeben? Wie soll ich dir in deine klaren grünen Augen schauen und dir sagen, was dich erwartet?
     
    Virginia ist klug - klug und bei klarem Verstand. Sie wird dir eine bessere Ratgeberin sein, als ich es in meiner Verzweiflung vermag. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, diese Last an dich weiterzugeben, meine wunderschöne Lia.

    Ich werde dir so viel Schutz geben, wie ich kann. Die Seelen werden sich auf dich stürzen, da bin ich mir sicher, aber ich werde jedes Quäntchen meiner Kraft darauf verwenden, jeden Zauber, auch wenn ich dadurch auf ewig aus der Schwesternschaft ausgeschlossen werde, damit du im Schlaf in Sicherheit bist. Das ist alles, was ich für dich tun kann.
     
    Du musst wissen, dass ich jetzt, wenn ich den Brief an einem sicheren Ort verwahrt habe und mich auf den Weg zum See mache, in Gedanken bei dir bin. Ich wünschte, ich hätte einen weisen Rat für dich, aber alles, was ich dir geben kann, ist Liebe und die Hoffnung - nein, den Glauben -, dass du stärker und tapferer bist als ich. Dass du dieser Schlacht ein Ende bereiten kannst. Dass du sie gewinnen kannst, für alle Schwestern vor dir und jene, die noch kommen mögen.
     
    Das ist alles. Keine Antworten. Keine Ratschläge.
    Sie wusste , dass ich das Tor bin. Das ist die einzige Erkenntnis, die mir der Brief bringt. Tante Virginia war sich anfangs nicht sicher, hat womöglich die Puzzleteilchen bezüglich unserer vertauschten Geburt nicht zusammensetzen können. Aber irgendwie wusste unsere Mutter, dass man dem Schicksal nicht entkommen kann, egal wie chaotisch und willkürlich es auch manchmal scheinen mag.
    Sie war es, die den Schutzkreis in den Boden unter meinem Bett geritzt hatte. Obwohl ich noch klein war, erinnere
ich mich, dass ich von dem Kinderzimmer, aus dem kleinen Raum, den ich mit Alice teilte, hierher gebracht wurde, kurz bevor unsere Mutter starb. Jetzt weiß ich, dass die Trennung von Alice kein Teil unseres Älterwerdens war, sondern ein kalkulierter Schachzug meiner Mutter.
    Ein Weg, um mich vor meiner Schwester zu beschützen.
    Dass Alices Zorn und ihre Gier sie so weit bringen konnten, dass sie bereit ist, mich den Seelen zu opfern… das ist jenseits aller Vorstellungskraft. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass meine Schwester so kaltherzig ist, um mich in den sicheren Tod zu schicken - oder mich etwas viel Schlimmerem als dem Tod zu überantworten: dem Abgrund.
    Meine Wut, mein Unglaube ist wie ein Juckreiz, an dem ich am liebsten kratzen würde. Aber das würde unserer Aufgabe, unserer Suche nach Antworten, nur im Weg stehen. Das Klügste ist, Alice glauben zu lassen, dass ich noch immer ahnungslos bin.
    Und sie in der Sicherheit zu wiegen, dass sie alle Macht besitzt.

26
     
     
     
     
    I ch verlasse mein Zimmer später als gewöhnlich.
    Die Tür zum Gästezimmer ist offen. Luisas und Sonias Betten sind ordentlich gemacht. Ich bin begierig darauf, sie zu sehen, denn ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich so lange geschlafen und sie sich selbst überlassen habe.
    Dann aber sehe ich die Tür zu Alices Zimmer einen Spalt offen stehen.
    Obwohl ich nur einen kleinen Teil des Raums durch den Spalt erkennen kann, strahlt das Zimmer eine Aura der Verlassenheit aus. Ich bin mir sicher, dass Alice nicht da ist.
    Rasch schaue ich mich auf dem Korridor um, ob jemand in der Nähe ist, dann betrete ich das Zimmer und mache die Tür leise hinter mir zu. Einen Augenblick lang blicke ich mich nur um. Es ist Jahre her, seit ich längere Zeit hier verbracht habe. Alles sieht anders aus. Älter. Ich verweile
kurz in Gedanken bei der Zeit, als noch Puppen aus zartem Porzellan auf der Kommode und dem Schreibtisch saßen. Aber Erinnerungen sind ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann, und mit leisen Schritten gehe ich weiter in den Raum hinein.
    Ich habe keine Ahnung, wo sich die Liste befinden mag, aber die Möglichkeit, dass Alice sie vor mir gefunden hat, darf nicht außer Acht gelassen werden. Ich fange mit dem Nachttisch an, der meinem eigenen zum Verwechseln ähnelt, öffne die kleine Schublade. Darin befindet sich Alices Schreibzeug, ihre

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