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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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Hand an die Stirn.
    Ich schaue von Vaters Schreibtisch auf und lehne mich in dem Ledersessel zurück. »Ich weiß nicht, wo wir sonst suchen könnten. Wenn Vater etwas verstecken wollte, dann hätte er es hier getan, da bin ich mir sicher. Die Bibliothek ist der Ort, an dem er die meiste Zeit verbrachte. Alles, was ihm lieb und teuer war, befindet sich hier.«
    »Aber wir haben doch schon alles hier durchsucht!«, wendet Luisa ein.
    Mit einem Ruck steht Sonia auf. »Hier. Wir haben hier alles durchsucht.«

    Luisa wirft ungeduldig ihr Haar zurück. »Ja, Sonia. Das habe ich gerade gesagt.«
    Aber ich glaube, ich weiß, worauf Sonia hinauswill. »Warte mal - was hast du im Sinn, Sonia?«
    »Wir haben noch nicht sein Zimmer durchsucht«, sagt sie.
    Ich winke ab. »Das stimmt, aber die Bibliothek war Vaters Heiligtum. Und hier befand sich auch das Buch.«
    Sonia nickt. »Genau. Ist das nicht ein Grund mehr zu vermuten, dass die Liste woanders versteckt ist?«
    Ich beiße mir auf die Lippe und denke über ihr Argument nach. Ich will nicht zugeben, dass sie recht haben könnte, nicht weil ich ihr den Erfolg nicht gönnen würde, sondern weil ich davor zurückschrecke, in Vaters Privatsphäre einzudringen, auch wenn er nicht mehr unter uns weilt. Trotzdem kann ich die Richtigkeit von Sonias Worten nicht leugnen.
    »Du hast natürlich recht. Wenn sich die Liste nicht hier befindet, gebietet es die Logik, als Nächstes sein Zimmer zu durchsuchen.«
    Luisa schaut mich herausfordernd an. »Also?«, sagt sie. »Worauf warten wir dann noch?«
     
    Ohne ein Feuer im Kamin ist es in Vaters Zimmer so kalt wie in einem Grab.
    Luisa und Sonia treten, ohne zu zögern, ein, aber ich mache die Tür hinter mir zu und bleibe, mit dem Rücken dagegengelehnt, einen Moment lang stehen. Ich lasse meinen
Blick durch den Raum schweifen, nehme seine Fremdartigkeit in mich auf, denn ich hatte nur selten Gelegenheit, mich hier aufzuhalten, während Vater am Leben war. Hier schlief er, mehr nicht. Sein ganzes Leben fand in der Bibliothek statt und im Rest des Hauses, mit mir, Alice und Henry.
    Trotzdem kann ich mir nicht helfen: Als ich weiter in den Raum hineingehe, spüre ich, dass ein wichtiger Teil meines Vaters hier zu Hause war. Vielleicht war es ein Teil, den er vor uns verborgen hielt. Aber als meine Augen auf das Bild meiner Mutter auf dem Nachttisch fallen und die Bücher, die daneben aufgestapelt sind, erkenne ich, dass dieser Teil nicht weniger wichtig war, auch wenn mein Vater ein Geheimnis daraus machte.
    »Lia?« Sonia steht mitten im Raum und hat die Arme leicht ausgebreitet. »Wo sollen wir anfangen?«
    Es dauert eine Sekunde, ehe ich mich wieder an den eigentlichen Zweck unseres Hierseins erinnere. Und als es mir wieder einfällt, habe ich genauso wenig Ahnung wie Sonia, wie wir am besten vorgehen.
    Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Vielleicht mit der Kommode. Unter der Matratze?«
    Luisa tritt zum Bett, kniet sich hin und schiebt die Hand zwischen die beiden Matratzen. »Ich fange hier an. Lia, vielleicht ist es besser, wenn du dir die intimeren Sachen deines Vaters vornimmst.«
    »Ich schaue mir mal die Rückseite des Schranks an«, sagt Sonia und geht auf das Möbelstück zu, das in der Ecke steht.

    Ich bleibe einen Moment lang mitten im Zimmer stehen und versuche, über meine Schuldgefühle angesichts dieses Eindringens in meines Vaters Privatsphäre hinwegzukommen. Ich weiß ja, dass wir einen guten Grund dafür haben. Endlich ermahne ich mich, dass mir die Liste nicht aus freien Stücken zugeflogen kommt, und setze mich in Bewegung.
    Ich habe noch niemals in die Kommode eines Mannes geschaut. Ich weiß nicht, was ich erwartete, aber die akkuraten Reihen von schwarzen Socken und Sockenhaltern sind ein scharfer Kontrast zu der zarten Spitze und den Seidenstoffen in der Kommode meiner Mutter. Mit jedem Schritt, den ich näher auf die Prophezeiung zutrete, enthülle ich mehr von meinen Eltern, betrachte sie mehr als Mann und Frau und nicht mehr so sehr als Vater und Mutter. Es ist eine merkwürdige und gleichzeitig anrührende Reise, und ich bin fest entschlossen, mit den Sachen meines Vaters respektvoll umzugehen.
    Es dauert nicht lang. Die Kommode hat lediglich vier Schubladen, und schnell wird klar, dass sich nichts Ungewöhnliches in ihnen befindet. Ich drehe mich um und lehne mich gegen die Kommode. Luisa sitzt auf dem Bett und Sonia steht vor dem Schrank, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie hat den Kopf

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