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Die Prophezeiung der Seraphim

Die Prophezeiung der Seraphim

Titel: Die Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mascha Vassena
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sich zwingen, ruhig zu bleiben. »Du meinst also, wir haben uns all das nur ausgedacht? Was ist mit unserer Mutter? Ist sie dir gleichgültig?«
    Ruben schloss die Augen und es schien Julie, als hielte er Tränen zurück. Doch sie musste sich geirrt haben, denn als er sie wieder ansah, war sein Blick kalt und abweisend.
    »Zweifelst du daran, dass Cal sie gefangen hält?«, fuhr Julie dennoch fort.
    Ruben presste die Lippen aufeinander. »Vielleicht hatte er einen guten Grund dafür.« Abwartend sah er Julie an, als wollte er sagen: Na, was machst du jetzt?
    Julie wusste nicht, ob sie ihren Bruder packen und schütteln wollte – oder sich umdrehen und einfach gehen sollte. Die Entscheidung wurde ihr von Javier abgenommen, der unvermittelt zu ihnen trat.
    »Kommt ans Feuer und tanzt mit! Meine Gehilfin war heute wunderbar!« Er schwenkte eine Weinflasche, die bereits halb leer war, vollführte eine Drehung und hakte Julie unter. »Meine Dame! Mein Herr!«
    Julie musste lachen, aber Ruben machte ein düsteres Gesicht und schüttelte den Kopf. »Hab was anderes vor.« Er löste sich von der Mauer und verschwand in der Nacht.
    »Was ist denn mit dem los?«
    »Nichts weiter, lass uns tanzen gehen.« Julie zog Javier zum Feuer, wo sich die einfachen Leute von Rennes unter die Schausteller gemischt hatten, um sich beim Tanz zu vergnügen.
    Nach dem Gespräch mit Ruben war Julie nicht mehr nach Feiern zumute, aber sie wollte Javier nicht enttäuschen. Deshalb zwang sie sich zu lächeln und wirbelte mit ihm inmitten der Tänzer um das Feuer herum. Die Musik wurde immer wilder und schneller, und manch einer tanzte so dicht an den Flammen, dass seine Kleider versengt wurden. Das rief jedes Mal großes Geschrei hervor, unzählige Hände suchten den Brand zu ersticken, gefolgt von lautem Gelächter, bis man sich wieder einreihte. Nach einer Weile überließ Julie sich dem Reigen, und allmählich vergaß sie den Streit mit Ruben. Als die Zigeuner eine neue, wilde Melodie spielten, fassten sie und Javier sich überkreuz an den Händen und sprangen herum wie kleine Kinder. Julie warf den Kopf zurück und blickte in den Nachthimmel, der sich drehte und drehte. Schließlich landeten sie beide lachend auf der Erde.
    Julies Ausgelassenheit erlosch, als sie Lausbart am Feuer sah. Er hatte eine Hure im Arm und schüttete sich mit der freien Hand eine klare Flüssigkeit in den Mund, die bestimmt kein Wasser war. Abrupt stand sie auf und klopfte sich den Rock ab. »Ich muss kurz weg. Hast du Fédéric gesehen?«
    Javier, der ihrem Blick gefolgt war, legte den Kopf schräg. »Bei Eisenrachens Zelt. Ihr macht doch keinen Unsinn?«
    Julie winkte ihm nur zu, bevor sie davonlief.
    Zwischen den Zelten war es dunkel. Sie musste lange getanzt haben, denn im Lager brannten nur noch wenige Fackeln. Deshalb dauerte es eine Weile, bis Julie am Rand des Lagers Eisenrachens Zelt entdeckte. Noch in den Schatten verborgen, sah sie Fédéric herauskommen, und obwohl sie nicht schnell gelaufen war, fing ihr Herz auf einmal heftig zu pochen an. Am liebsten wäre sie auf ihn zugestürmt und hätte ihn umarmt, und früher hatte sie das auch getan – nur war sie inzwischen nicht mehr sicher, wie er das aufnehmen würde. Deshalb näherte sie sich langsam und rief leise seinen Namen, um ihn nicht zu erschrecken. Einen Augenblick schien es, als würde er im Zelt verschwinden, obwohl sich Julie sicher war, dass er ihre Stimme erkannt hatte. Doch dann drehte er sich um und sah ihr entgegen.
    »Was verschafft mir die Ehre?«, fragte er. »Wirst du nicht schon von Monsieur Windbeutel erwartet?«
    »Bitte lass das«, sagte Julie leise. Es tat ihr weh zu spüren, wie verletzt er war, aber sie würden ein anderes Mal darüber sprechen müssen. Rasch erzählte sie ihm von dem Kalokardos.
    »Rizinus und Mäuseköttel, die Viecher gibt es wirklich?« Fédéric kratzte sich den Nacken, und Julie musste lächeln, weil ihr diese Geste so vertraut war.
    »So eine Gelegenheit kommt nicht wieder, kommst du mit?«
    »Was für eine Frage!« Schon war er neben ihr und fasste ihre Hand. Sie war rau und schwielig und unendlich vertraut.
    Gemeinsam mit Fédéric war es leicht, das Fabelwesen zu finden. Er kannte das Lager viel besser als Julie und führte sie ohne zu zögern zu Lausbarts Käfigwagen, der unter einer uralten, ausladenden Buche etwas abseits der anderen Zelte stand. Als sie näher traten, sahen sie, dass ungeübte Hände an die Außenwände des Holzwagens ein Abbild des

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