Die Prophezeiung des Adlers
bewaffnete Männer. Cato spürte ein Gefühl heftiger Angst in der Magengrube, als er beobachtete, wie die Männer den Pfad heraufstiegen. Es waren zu viele. Er schob sich hinter den Felsbrocken zurück und wollte schon zur Hütte rennen, um sie in Brand zu setzen, als er noch einmal verharrte und sich den Felsbrocken genauer ansah, denn plötzlich war ihm ein Gedanke gekommen. Er legte die Handflächen gegen die raue Oberfläche des Steins, stemmte die Beine auf dem Boden ab und drückte kräftig. Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Dann spürte er, dass der Felsbrocken ganz leicht nachgab, und kleine Kiesel rollten von seinem Fuß den Pfad hinunter.
Erneut ertönte ein Schrei von dem Mann in der Latrine, diesmal lauter. Wenn Cato ihn nicht zum Schweigen brachte, würden die Männer auf dem Pfad ihn hören, lange bevor sie das Gipfelplateau erreichten. Cato warf einen letzten Blick den Pfad hinunter, um ihr Tempo einzuschätzen, machte dann kehrt und rannte zur Hütte zurück. Er eilte zur Latrine und verlangsamte seinen Schritt kurz vor dem Rand der Grube zum Gehen. Die Sonne hatte das Gemisch aus Kot, Urin und Blut zu einem alles durchdringenden Gestank aufgeheizt, und Cato spürte, wie sich ihm der Magen zusammenzog. Der Verwundete schrie noch immer, als Cato sich vorsichtig über die Grube beugte.
»Still!«, sagte er streng auf Griechisch.
Der Mann blickte mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen zu ihm auf. Dann öffnete er den Mund und brüllte laut.
»Ruhe!«, zischte Cato ihn an. Er deutete mit dem Finger auf den Mann und legte ihn dann auf die Lippen. »Pssst! Sei ein guter Pirat und halte verdammt noch mal die Klappe!«
Der Mann kreischte weiter, und Cato fuhr sich mit dem Finger quer über den Hals. »Sei still, sonst … ! Verstanden?«
Cato blickte sich verzweifelt nach dem Felsbrocken um. Wegen dieses Mannes würde er noch sterben, wenn der Dummkopf weiter einen solchen Lärm machte. Dann begriff Cato: entweder er oder der Verwundete. So einfach war das. Cato zog sein Schwert und beugte sich über die Latrine.
»Tut mir leid. Aber du wolltest ja nicht hören.«
In diesem Augenblick hob der Mann flehend die bittend zusammengelegten Hände. Er schloss die Augen und wandte das Gesicht von Cato ab, als die schimmernde Klinge zu seinem Hals niederfuhr. Blut schoss aus der Wunde, und Cato richtete sich auf. Kurze Zeit krümmte sich der Mann, röchelte. Cato wartete ab, bis er sicher sein konnte, dass er wirklich tot war und keine Gefahr mehr darstellte. Dann wandte er sich ab. Er rannte zur Hütte, steckte sein Schwert in die Scheide, packte den Türpfosten fest mit beiden Händen und zog ihn zu sich heran. Er bewegte sich leicht, und Cato drückte ihn in die entgegengesetzte Richtung und zog ihn dann wieder zurück. Unter Anspannung aller Kräfte zerrte und rüttelte er daran, und schließlich brach er aus dem Boden heraus. Cato fiel rückwärts hin, und das Dach der Hütte brach zusammen. Er schnappte sich den robusten Pfosten und rannte mit vor Anstrengung hämmerndem Herzen zum Felsbrocken zurück.
Dort angekommen, spähte er wieder den Hang hinunter und entdeckte zu seinem Entsetzen, dass der Feind nur noch knapp fünfzig Schritte von der Stelle entfernt war, wo er den ersten Wachtposten getötet hatte. Cato kauerte sich hin und rammte den Türpfosten so tief wie möglich unter den Felsbrocken. Dann zerrte er einen großen Stein als Drehpunkt für den Hebel darunter. Er rutschte zum Rand des Felsbrockens und spähte vorsichtig daran vorbei. Der Hufschlag des Maultiers drang ihm bereits an die Ohren, und dann hörte er die Stimmen der Piraten. Sie waren außer Atem, neckten sich aber im fröhlichen Tonfall von Männern, die sich keinerlei Gefahr bewusst sind.
Sie stiegen stetig zum Plateau herauf, und Cato fragte sich ein letztes Mal, ob er nicht ein riesiger Dummkopf war und selbst jetzt noch die Flucht ergreifen sollte. Schließlich hatten die Piraten einen langen, mühsamen Aufstieg vom Fuß des Berges hinter sich und würden zu erschöpft sein, um die Verfolgung lange fortzusetzen. Wenn Cato jetzt gleich die Flucht ergriff und unauffällig kehrtmachte, konnte er sich unentdeckt am Plateaurand entlang zurückziehen und dem Pfad folgen, den Macro den jenseitigen Hang hinunter eingeschlagen hatte. Dann aber zwang er sich, sich trotz seiner Angst zusammenzureißen. Es war nur natürlich, dass er in der Aufregung unmittelbar vor dem Kampf Zweifeln zum Opfer fiel. Er durfte nicht vergessen,
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