Die Prophezeiung des Adlers
ungemütlich, wie müde er auch immer sein mochte. Bald klapperte er mit den Zähnen, und Macro warf ihm einen gereizten Blick zu, bevor er sich umdrehte und sich unter seinem wasserdichten Umhang auf dem dicken Zweigbett zusammenrollte.
Minucius kam kurz darauf zurück und sagte Cato mit einem Nicken gute Nacht. Dann machte er es sich auf seinem improvisierten Lager bequem, und bald schliefen beide Veteranen laut schnarchend.
»Verdammt«, brummte Cato bitter vor Neid. Er wälzte sich auf der Suche nach einer bequemen Lage herum, aber wenn er auf der einen Seite lag, war die andere der Eiseskälte ausgesetzt, die irgendwie durch den Eingang des Zeltes hereinkroch und die frostigen Finger nach ihm ausstreckte. Er ertrug diese Qual länger als eine Stunde und fühlte sich dabei stetig elender, bis er aufgab, sich aufsetzte, die Knie an die Brust zog und sich kräftig die Schultern rieb, um die Muskeln ein wenig zu wärmen. Draußen legte sich der Sturm und erwachte nur noch bei gelegentlichen Windstößen zu einem schrillen Heulen. Aber das war Cato, der zitternd im Zelt saß, nur ein kleiner Trost.
Er versuchte an etwas anderes zu denken, egal was, und seine Überlegungen kehrten zu den geheimnisvollen Schriftrollen zurück, die Narcissus so viel bedeuteten. Sie schienen ihm noch wichtiger zu sein als die Bedrohung durch die Piraten selbst. Die Operation gegen die Piraten war zu einem großen Teil nur vorgeschoben, ein Vorwand, um das, was Rom wirklich interessierte, zu verschleiern. Wenn Narcissus’ Spiel so aussah, mussten die Schriftrollen das Leben einer beträchtlichen Zahl von Männern wert sein. Aber was konnte so wichtig sein? Listen von Verrätern? Staatsgeheimnisse aus dem Partherreich? Alles war möglich, sagte Cato sich entnervt.
Für einen Augenblick erstarb der Wind vollständig, und die Wände des Zelts hingen schlaff herunter. Plötzlich hörte Cato einen Schrei – kurz, schrill und in einiger Entfernung. Er schien von den Berghängen widerzuhallen, doch dann heulte der Wind wieder los, und das Geräusch war weg. Cato schlug die Decke vom Kopf zurück und spitzte die Ohren, um das Geräusch möglichst noch einmal zu hören. Und da war es wieder: ein leiser, gequälter Schrei, der über dem Stöhnen des Windes und dem gelegentlichen Flappen des Zeltleders nur gerade so eben vernehmbar war. Er streckte die Hand aus und schüttelte Macros Schulter. Es kam keine Reaktion, und er schüttelte sie erneut, diesmal kräftiger, wobei er die Finger in Macros Muskeln grub. Der ältere Centurio wachte auf und fuhr erschreckt hoch.
»Was? Was ist denn? Wo ist mein Schwert?« Er langte sofort nach seiner Klinge, doch dann fiel sein Blick auf die dunkle Silhouette des neben ihm kauernden Cato.
»Still!«, sagte Cato leise. »Lausche einfach nur!«
»Lauschen? Auf was denn?«
»Psst! Hör einfach hin … «
Beide Männer verharrten still und spitzten angespannt die Ohren, aber alles, was sie hörten, war das Heulen des Windes draußen. Macro gab auf.
»Würdest du mir vielleicht sagen, wonach ich lauschen soll?«
»Ich habe einen Schrei gehört.«
»Einen Schrei? Hier oben im Gebirge? Bist du dir sicher, dass es nicht der Wind war?«
»Absolut.«
»Vielleicht irgendeine bacchantische Orgie der Bergbewohner.«
»Still! Da ist es!«
Diesmal hörte Macro das Geräusch: unverkennbar der Schrei eines Menschen und eindeutig erfüllt von Schmerz und Qual. Der Laut brach unvermittelt ab, und Macro spürte, wie sich ihm die Haare sträubten.
»Verdammt. Du hast recht.«
»Was sollen wir tun?«
Macro warf seine Decke zurück und griff nach seinen Stiefeln. »Der Sache auf den Grund gehen, natürlich. Los, komm. Nimm dein Schwert mit.«
»Was ist mit Minucius?«
»Den lassen wir hier. Ich will nicht wie ein schreckhafter kleiner Rekrut dastehen. Wir gehen der Sache auf den Grund und holen dann gegebenenfalls Hilfe. Gehen wir.«
Als sie aus dem Zelt krochen, sahen sie, dass inzwischen kein Schnee mehr fiel und dass alle Zelte und Wagen mit einer dicken weißen Schicht bedeckt waren. Auf jeder Seite des Lagers standen zwei Wachtposten und stampften mit den Füßen, damit sie nicht taub wurden. Der Wind hatte sich gelegt, es wehte nur noch ein gelegentliches Lüftchen, und am Himmel zogen dünne silbrige Wolkenschleier über die leuchtenden Punkte der Sternenkonstellationen.
»Da entlang«, flüsterte Macro und ging leise durch den knirschenden Schnee zum nächsten Wachtposten. Der Mann richtete sich auf,
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