Die Prophezeiung
Glucksen. Etwas verlegen lösten sich die beiden voneinander. Moran fehlten die Worte, aber Balin brummte leise, während er die Türe hinter sich zu zog: „Ich dachte mir schon, dass dies bald geschehen würde, aber ich hoffe, euch ist klar, dass es nicht außerhalb dieser Wände bekannt werden darf!“
Moran sah ihn mit aufgerissenen Augen an, offenbar hatte Balin sie nicht in seine Vermutungen eingeweiht. Niall und Zaramé nickten eifrig, wie gescholtene Kinder, die bei einem Streich erwischt worden waren und begannen gleichzeitig zu sprechen: „Ja, das ist uns klar… Wir haben es selbst erst gerade erkannt… Wir sind schon vorsichtig…“
Balin schaute beide ernst an: „Und woher die kleinen Kinder kommen, die ihr beide jetzt nicht brauchen könnt und dass man, wenn es möglich ist, sich vorher vermählt, das wisst ihr ja auch, oder?“
Zaramé hatte sich noch nie im Leben in einer ihr so peinlichen Situation befunden. Sie drehte den hochroten Kopf und verbarg ihr Gesicht an Nialls Brust. Dann spürte sie das leichte Beben seines Körpers. Empört sah sie auf: „Du bist gemein, Niall. Es ist so peinlich und du lachst mich aus!“ Auch Balin begann zu lachen: „Ach, Zaramé, ich bin so froh, du bist doch immer noch unser kleines Mädchen.“ Moran wandte mit zitternder Stimme ein: „Seid ihr euch sicher? Ich vermag es mir gar nicht vorzustellen … O, und wie wird Karim darauf reagieren? Ihr müsst vorsichtig sein! Wir alle müssen sehr vorsichtig sein – keiner darf es wissen, keiner!“
Zaramé sagte nun wieder ruhig und besonnen: „Ja, das wissen wir, Mutter. Wir werden vorsichtig sein. Morgen gehe ich zu den Elfen und frage sie, wie wir handeln sollen. Es muss etwas geschehen!“
Am nächsten Morgen brachte Niall, wie in letzter Zeit üblich, Zaramé zur Burg. An der Treppe strich er ihr kurz über die Hand, nicht mehr, drehte sich um und ging. Zaramé sah ihm einen Moment mit schwerem Herzen nach, dann stieg sie in Gedanken die Treppe hoch. Vor dem Teppich blieb sie stehen, an dem Bild hatte sich nichts verändert. Leise flüsterte sie, in der Hoffnung gehört zu werden: „Ich muss Euch sehen, heute Abend komme ich zu Euch, wenn ich darf.“
Niemand antwortete und als sich Zaramé enttäuscht nach oben wandte, wusste sie auch warum! Dort stand Karim und beobachtete sie lautlos. Als er ihren erschrockenen Blick bemerkte, lächelte er spöttisch.
„Dieser Teppich hat es dir angetan, Zaramé, nicht wahr? Ich finde ihn schrecklich düster. Aber immerhin zeigt er, was den Feinden unseres Hauses widerfährt!“
Zaramé stellte si ch unbedarft. „Ist dies denn eine wahre Szenerie, mein Prinz? Ich dachte immer, es wäre der Phantasie einer Dame entsprungen, die sich mit Sticken während eines langen, kalten Winters die Zeit vertrieben hat.“ Karim stieg langsam die Treppen hinunter, sein Blick ließ sie nicht los. Dann betrachtete er das Werk. Zaramé fiel auf, dass er hagerer geworden war. Die gutaussehenden Züge seines Gesichts waren härter und kantiger geworden.
„Dies hier ist die Hexe, die versucht hat unser Reich zu zerstören. Sie überlebte nicht lange, meine Urgroßmutter ließ sie hinrichten. Diese Monster“ – er zeigte auf die Magaren – „wurden in alle Winde zerstreut und nach und nach vernichtet. Der Drache soll angeblich irgendwo im Untergrund leben, stets bereit meiner Familie in Zeiten der Not zu Hilfe zu eilen. Komisch…“, er stutzte kurz, „diese Elfen, oder was auch immer das sind, sind mir noch nie aufgefallen. Aber sie waren wohl nicht unsere Freunde, sonst wären sie nicht in dieser Bedrängnis!“
Zaramé wollte ihn möglichst schnell von dem Teppich und den Elfen fortbringen. So sagte sie leichthin, als sei es nicht von Interesse: „Wahrscheinlich liegt es an den düsteren Farben, dass Ihr es Euch nie ansehen wolltet, mein Prinz. Es gibt doch wirklich schönere Bilder. So wie die Sommerlandschaft mit Eurer Burg im Hintergrund, die im Thronsaal hängt. Dieses Bild ist wunderschön!“
Karims gerunzelte Stirn glättete sich, offenbar hatte ihre Ablenkung Erfolg.
Zaramé wusste allerdings nicht, dass etwas ganz anderes ihn zuvor beschäftigt hatte: Nialls Verabschiedung, so kurz sie auch ausgefallen war, hatte wieder die Eifersucht geweckt. Obwohl er die beiden nach wie vor für Geschwister hielt, ahnte Karim, dass er nur an Zaramé herankommen konnte, wenn Niall aus dem Weg wäre. Wie schwierig es mit dem Vater werden würde war er bereit abzuwarten. Man
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