Die Prophezeiung
neue Autorität wieder aufgeben oder ob er dich höflich einladen soll! Du wirst nicht lange warten müssen, genieße die Verschnaufpause und übe, damit du dein Wissen und deine Wut im Zaum halten kannst, so dass Karim keinen Verdacht schöpft!“
Niall nickte beifällig: „Ja, Vater hat vermutlich Recht. Er wird sich bald melden. Ich will eigentlich nicht, dass du überhaupt noch mal hingehst, denn er wird sich keine Mühe mehr machen, seine Gewalttätigkeit zu verbergen. Die Leute haben nun Angst vor ihm, das wird er nicht mehr ändern wollen, denn bis jetzt war er derjenige, der Furcht empfunden hatte! Am liebsten würde ich dich aus Kaligor wegschicken!“
Zaramé sah ihn an un d freute sich, dass er an ihre Sicherheit dachte. Aber sie wusste, ihre Bestimmung war nicht die Flucht – noch nicht! Niall erkannte an ihrem Blick, dass sie nicht darauf eingehen würde. Man würde abwarten müssen, der Gegner war am Zug!
Schon zwei Tage später war es soweit! Ein Mitglied der königlichen Palastwachen erschien an der Türe und überbrachte den Wunsch Prinz Karims, dass Zaramés unverzügliches Erscheinen in der Burg erbeten werde. Zaramé warf sich ein wärmendes Tuch über die Schultern und auch Niall schlüpfte zu ihrem Erstaunen in seine Jacke. Die Palastwache zeigte keinerlei Reaktion darauf, dass Niall als Begleitung mitkam. Als Zaramé protestieren wollte, wischte Balin ihren Einwand energisch zur Seite.
„Niemand, auch Prinz Karim nicht, kann erwarten, dass du nach den letzten Geschehnissen allein dort auftauchst. Niall vergewissert sich nur, dass du dort in Sicherheit bist!“
Niall nahm Zaramés Hand und sie gingen, gefolgt von der Wache zum Schloss. Die Leute, an denen sie vorüber kamen, tuschelten. Es machte sicherlich einen zweischneidigen Eindruck, wie sie bewacht zur Burg gingen. Würden sie verhaftet oder machten sie gemeinsame Sache mit dem Tyrannen? Zaramé seufzte innerlich, ab heute würde nichts mehr einfach sein. Entweder würden sie in Gefahr schweben oder von den bisherigen Freunden gehasst werden. Wahrscheinlich sogar beides!
Als sie die Treppe zum Thronsaal hinaufstiegen, wandte Zaramé gewohnheitsmäßig den Blick zum Wandteppich und erkannte schreckerstarrt eine Änderung im Bild: Das Heer schien noch an derselben Stelle zu stehen wie das letzte Mal vor einigen Wochen. Auch die rothaarige Frau, die vermutlich Melisin darstellen sollte, – oder war es Rianna oder Ziandra – war am gleichen Platz, aber nun konnte man im Hintergrund ganz deutlich das Moor mit den darin gefangenen Elfen erkennen. Sie schienen langsam darin zu versinken! Hieß das, dass die Zeit nun langsam drängte. Lag der Zeitpunkt zu handeln gar nicht in Nialls und ihren Händen, sondern mussten sie sich beeilen? Niall schob sie sanft vorwärts. Als sie ihm in die geweiteten Augen sah, erkannte sie, dass auch er die Veränderungen wahrgenommen hatte.
„Schön, dass du so schnell Zeit hattest, Zaramé! “, erscholl Karims Stimme. Zaramé sah hinauf und sah den Prinzen an der Brüstung stehen und auf sie herablächeln. Sie war erstaunt, dass sie überhaupt zurücklächeln konnte, aber Karim wirkte beinahe so harmlos wie früher. Beinahe! Denn die Haltung war stolzer und sogar eine Spur herablassend, als er sich an Niall wandte.
„Ich danke dir, dass du deine Schwester hergebracht hast. Ich werde sie selbst später nach Hause begleiten. Daher kannst du deinen Pflichten zuhause wieder nachgehen!“ Er nickte dem Älteren herablassend zu und Niall spürte, wie die Wut heiß in ihm emporstieg. Bevor er noch etwas Unbedachtes sagen oder tun konnte, spürte er Zaramés Kuss auf der Wange.
„Vielen Dank, Niall. Ich bin noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück, sag e das bitte den Eltern. Bis später!“ Niall sah ihr keinerlei Angst an und auch ihr Blick war goldbraun und ruhig. Also bemühte er sich um Gelassenheit, verbeugte sich vor dem Prinzen und strich Zaramé über die Wange. Dabei erkannte er das kurze, aber heftige Aufblitzen eifersüchtiger Wut in den Augen des Prinzen. Balin hatte Recht gehabt: Karim war hinter Zaramé her! Aber so schnell würde es sich wohl nicht entwickeln, also beschloss er, es für den Moment zu ignorieren und wirklich nach Hause zu gehen. Seine Gedanken würden aber bei ihr sein, das wusste er bereits und damit würde er eventuelle Gefahr für sie wie immer erahnen können. Als er die Treppe hinabstieg, spürte er einen Luftzug und erkannte auf dem goldenen Rahmen des Wandteppichs
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