Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
plattgedrückte Plastikflaschen und mehrere leere Chipstüten. Mit dem Stock hebt er eine Ecke des Schlafsacks hoch und sieht, dass auf der Pappe als provisorischer Nässeschutz eine Plastiktüte von Wickes liegt.
»Hallo, Freundchen«, murmelt er. »Schön, dass ich dich endlich gefunden habe.«
Eins zu eins
AJ drängt es verzweifelt danach, sich neben Melanie zu setzen, aber er darf diesem Impuls unter keinen Umständen nachgeben. »Ich musste die Polizei einschalten.« Er bemüht sich um einen sachlichen Ton. »Ich meine, seien wir ehrlich, wir beide wissen es doch schon lange. Nicht nur, weil Isaac in deinem Garten war – da deutet noch so viel anderes eindeutig auf ihn hin.«
»O Gott.« Melanie legt eine Hand auf den Mund und senkt den Kopf. »O Gott«, sagt sie, »o Gott.«
»Er ist clever, Melanie, viel cleverer, als wir dachten. Er weiß, wie man Leute manipuliert. Zelda und vielleicht auch Moses. Vielleicht sogar Pauline. Sie hatten alle Angst – viele der Zeugen sagen, die drei hatten Angst gehabt in den Tagen, bevor …«
Seine Stimme versiegt. Melanie fährt sich mit den Händen durch die Haare, gräbt die Nägel in die Kopfhaut und dreht den Kopf hin und her wie eine Gefolterte. Er muss sich anstrengen, um nicht hinzugehen und sie zu trösten. Stumm und still bleibt er stehen, die Füße nebeneinander, die Hände in den Taschen. Er muss es jetzt zu Ende bringen. Er wartet und sieht zu, wie es sie zerreißt. Sie schüttelt den Kopf und sagt immer wieder: »Nein.«
Als sie endlich den Kopf hebt, ist ihr Gesichtsausdruck absolut klar. Zwei Streifen Wimperntusche zeigen, dass sie geweint hat, aber sie wirkt völlig ruhig, als habe sie bewusst entschieden, jedes Gefühl aus ihrem Gesicht zu wischen.
»AJ?«
»Melanie?«
»AJ.«
Es ist halb eine Frage, halb ein Eingeständnis. Und plötzlich wird etwas anderes, das er sich niemals hätte träumen lassen, grell und gleißend klar. Melanie hat etwas anderes verheimlicht. Seine Kiefermuskeln lösen sich, denn auf irgendeiner Ebene begreift er, dass er es immer schon vermutet hat. Schon immer hat er gewusst, dass sie etwas nicht aussprechen wollte.
»Du hast es gewusst«, murmelt er. »Du hast gewusst, was vorging. Du hast gewusst, dass er es war.«
Sie schaut ihm fest in die Augen.
» Melanie ? Hast du es gewusst?«
Er kann seine starre Haltung nicht mehr wahren. Er sinkt ihr gegenüber auf den Stuhl und starrt sie an.
»Du hast es gewusst – du hast gewusst , was Isaac treibt.«
Sie senkt die Stirn und legt die eleganten Finger an die Schläfen.
»AJ, wir haben miteinander geschlafen, wir haben zusammen Dinge getan, die wahrscheinlich verboten sind, und ich nehme an, das bedeutet, wir sollten alles miteinander teilen …«
»Antworte mir einfach. Hast du es gewusst?«
» Gewusst nicht gerade. Aber wenn ich ehrlich bin … ich habe es vermutet.«
» Vermutet? «
»Jeder hat das Recht wiedergutzumachen, was er getan hat. Sie alle brauchen eine Chance zur Resozialisierung. Darauf gründet mein ganzer Ethos, immer schon.«
»Ethos? Du reißt dir ein Bein aus, damit dieser gottverdammte Isaac Handel entlassen wird? Obwohl du wusstest, was er treibt?«
»Ich hab’s nicht gewusst . Ich hab’s vermutet.«
»Von mir aus auch nur vermutet .« Er legt den Kopf zurück und breitet die Hände aus, als bitte er Gott um Hilfe. »Das kann ich nicht glauben.«
»Weil du nie in meiner Position gewesen bist. Du warst nie diesem Druck ausgesetzt. Ich mache dir daraus keinen Vorwurf, wirklich nicht, doch du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist. Das ist der Fluch des mittleren Managements: Man ist der Schinken im Sandwich – was einem, wenn man die untere Hälfte des Sandwichs ist, wahrscheinlich wie ein Privileg vorkommt, aber in Wahrheit ist es die Hölle. Der Dreck kommt von beiden Seiten. Für alle in der Klinik muss ich eine Autoritätsperson sein – was immer das heißen mag –, doch für das Kuratorium bin ich lediglich ein Werkzeug. Ich muss akzeptieren, was sie sagen, und daraus etwas machen, was meine Mitarbeiter auch umsetzen können.«
»Das interessiert mich nicht besonders, um ehrlich zu sein. Du hast Isaacs Entlassungsausschuss getäuscht, sodass der Kerl auf freien Fuß kommen konnte.«
»Unter den Patienten hatte sich Hysterie ausgebreitet.«
»Das ist immer noch so, nur ist sie jetzt nicht mehr auf die Klinik beschränkt. Du hast dir wirklich selbst ins Knie geschossen. Isaac ist aus seiner Wohneinrichtung verschwunden, und
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