Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
»Was?«, murmelt sie fassungslos. » Was ?«
The Wilds
Penny Pilson geht nicht ans Telefon. Caffery hinterlässt eine Nachricht: »Wenn Sie Zeit haben, möchte ich Sie etwas fragen. Was Sie gemeint haben, als Sie sagten, Handel würde ›draußen in der Wildnis‹ sein. Rufen Sie mich an.« Dann schaut er auf die Uhr. Der Superintendent ist in einem Meeting im Präsidium und wird dort bis zum Mittag bleiben. AJ LeGrande hat Cafferys Handynummer. Es gibt nichts, was ihn hier noch hält. Er sucht seine Schlüssel heraus, und im letzten Moment nimmt er noch die »North Face«-Triclimate-Jacke und die Wanderstiefel aus dem Schrank.
Wotton-under-Edge liegt am unteren Rand der Cotswolds, ein altes Marktstädtchen, das sich bis heute die Atmosphäre eines Ortes bewahrt hat, an dem man sich versammelt. Aber um diese Zeit, an einem kalten Tag gegen Ende Oktober, sind hier nur wenige Leute zum Einkaufen unterwegs, und sie huschen hastig zwischen den hell erleuchteten Geschäften umher. Caffery fährt durch die Stadt und sieht, wie sie in seinem Rückspiegel zusammenschrumpft. Upton Farm liegt nur zwei Meilen weit von hier entfernt. Wotton dürfte der Ort sein, den die Handels zum Einkaufen aufgesucht haben. Er fragt sich, ob Isaac in letzter Zeit auch hier gewesen ist. Ob er in dem Wartehäuschen an der Bushaltestelle oder dort auf der Bank gesessen und die Leute beobachtet hat, die hier kommen und gehen.
Draht und Zange. Ist noch etwas unerledigt?
Die Straße schlängelt sich die Steigung hinauf, bis er auf der Höhe entlangfährt, vorbei an Westridge und North Nibley. Mit Hilfe seines Telefons und seiner Erinnerung an die Karte findet er einen kleinen Feldweg, der zu einem verlassenen Obstgarten führt. Eine rostige riesige Blechwanne liegt auf der Seite unter den knorrigen Bäumen, als hätte ein Riese keine Lust mehr gehabt, hier Äpfel zu pflücken, und das Ding zur Seite geworfen. Das Gras ist nicht gemäht; es liegt platt und verfilzt unter den nassen Haufen verfaulender Äpfel.
Als der Feldweg endet, hält Caffery an. Er zieht die Stiefel und die Jacke an und holt eine Taschenlampe unter dem Fahrersitz hervor. Sie ist schwer und solide und liegt gut in der Hand. Er schließt den Wagen ab, schlägt den Kragen hoch und betritt den Pfad, der zu den Bäumen hinaufführt.
Er braucht fünfzehn Minuten, um das Gelände zu erreichen, nach dem er sucht: die Wildnis – The Wilds. Ein paarmal verliert sein Telefon die GPS -Verbindung und findet sie dann wieder. Dann hat er kein Netz mehr. Er steckt das Handy ein und geht weiter.
Kaum kommt er auf die Lichtung, springen ihm die Umrisse ins Auge. Ein Berg – ein weißknochiger Riese. Es ist ein Baum, das erkennt er sofort, aber ein Baum, wie er noch keinen gesehen hat: Gigantisch und tot steht er im fahlen Licht. Das eingestürzte Skelett eines Ogers.
Er lässt den Blick über den Wald ringsum wandern und geht dann, angezogen von diesem Baum, ein paar Schritte weiter. Welkes Laub raschelt unter seinen Füßen. Als er um ihn herumgeht, findet er, halb verborgen, einen bogenförmigen Eingang zu dem leeren Schlund, wo das Herz des Baumes gewesen sein muss. Er legt eine Hand auf eine gekrümmte Wurzel, beugt sich vor und leuchtet mit seiner Lampe hinein. Er sieht Bierdosen und einen durchnässten Schlafsack auf einem plattgefalteten Pappkarton.
»Hallo?« Das Licht der Lampe erfasst das knorrige Innere des Baums, pockig von blanken Knoten und Beulen wie eine Wand aus poliertem Stein. »Jemand zu Hause?«
Stille. Er schwenkt die Lampe hin und her, als könnte diese Bewegung alles, was sich in diesem Baum versteckt, ins Freie treiben. Er knipst die Lampe aus und wartet mit angehaltenem Atem. Aber er hört keinen Laut. Nichts.
Er schnuppert. Es riecht stark nach Erde und modrigem Laub – und nach etwas anderem. Eine dunklere Note unter der Feuchtigkeit, die einen tiefliegenden Nerv berührt. Er öffnet den Mund ein wenig wie eine Katze, die Witterung aufnimmt. Er hat diesen Geruch noch vor Kurzem gerochen – er ist allzu vertraut. Es ist der ungewaschene Urinmief der Puppen.
Er bückt sich, krümmt sich ganz vornüber und tritt ein. Drinnen kann er nicht aufrecht stehen. Der Geruch ist so stark, dass er eine Hand vor den Mund presst. Er findet einen abgebrochenen Stock auf dem Boden und benutzt ihn, um damit in den Gegenständen auf dem Boden herumzustochern. Es ist, als wühle er in einer Recyclingtonne. Bierdosen sind zu faltigen Scheiben zusammengequetscht. Da sind
Weitere Kostenlose Bücher