Die purpurnen Flüsse
nu r fü r ei n einzige s Kind , da s is t doch ungewöhnlich , nicht?«
»Ja , da s is t ungewöhnlich.«
»Kenne n Si e di e Eltern?«
»Nein . Ni e gesehen.«
»198 2 ware n Si e noc h nich t hier?«
»Nein . Un d mei n Vorgänge r is t tot. « E r grinste . »Auc h unsereiner kratz t irgendwan n ma l a b …«
»Abe r irgendjeman d kümmer t sic h offensichtlic h u m da s Grab.«
»Ic h ha b j a nich t gesagt , da ß keine r herkommt . Ic h sa g nur , da ß ich di e Leut e nich t kenne . Ic h ha b nämlic h Erfahrung , ic h weiß , wi e lang e s dauert , bi s Stein e zerfallen . Ic h weiß , wi e lan g sic h Blumen halten , soga r wen n si e au s Plasti k sind . Ic h weiß , wan n da s Unkraut z u wachse n anfängt , da s Dornengestrüp p un d da s ganz e Zeug . Diese Gruf t hie r wir d regelmäßi g gepflegt , da s kan n ic h Ihne n sagen . Bloß ha b ic h ni e jeman d gesehen. « Nachdenklic h betrachtet e Kari m die offenstehend e Tür . Noc h einma l beugt e e r sic h niede r un d musterte de n leere n Rahmen . Ohn e aufzuschauen , sagt e er : »Ic h hab e das Gefühl , al s hätte n di e Plündere r da s Bil d de s Kinde s mitgenommen.«
»Ac h ja ? Kan n sein , ja.«
»Erinner n Si e sic h a n sei n Gesicht ? A n da s Gesich t de s Jungen?«
»Nein.«
Kari m richtet e sic h au f un d zo g sein e Handschuh e aus . »I m Lauf de s Tage s wir d di e Spurensicherun g komme n un d sic h um Fingerabdrück e un d ander e Hinweis e kümmern . Sage n Si e die Beerdigun g ab . Schütze n Si e ein e Überschwemmun g vo r ode r lassen Si e sic h sons t irgendein e Katastroph e einfallen . Ic h wil l keinen Mensche n hie r haben , verstanden ? Vo r alle m kein e Journalisten.«
De r Alt e wollt e protestieren , doc h Kari m hatt e sic h schon abgewand t un d marschiert e au f da s To r zu . I n de r Fern e schlu g eine blechern e Glock e neu n Uhr.
9
Kari m beschloß , noc h einma l di e Schul e aufzusuchen , eh e e r ins Kommissaria t zurückkehrte , u m seine n Berich t z u schreiben . Die Dachfirst e de r Häuse r erstrahlte n jetz t kupfer n i n de r Morgensonne, wiede r dacht e er , wi e prachtvol l de r Ta g z u werde n versprach , und diese r banal e Gedank e verursacht e ih m ein e leicht e Übelkeit.
I n de r Schul e angelangt , fragt e e r di e Schulleiterin : »Is t Anfan g der achtzige r Jahr e ei n kleine r Jung e namen s Jud e Itér o hie r zu r Schule gegangen?«
Di e Fra u zupft e a n de n weite n Ärmel n ihre r Jack e un d fragte kokett : »Habe n Si e den n scho n ein e Spur , Her r Inspektor?«
»Bitt e antworte n Si e mir.«
»Naj a … d a mu ß ic h i m Archi v nachschauen.«
»Gut , tu n Si e das . Jetz t gleich.«
Wiede r führt e ih n di e Schulleiteri n i n da s klein e Bür o mi t den Grünpflanzen.
»Anfan g de r Achtziger , sage n Sie? « fragt e sie , währen d si e mit eine m Finge r di e Glasscheib e entlangfuhr.
»1981 , 1982« , antwortet e Kari m un d bemerkt e i m selbe n Moment, da ß di e Fra u stutzte . »Wa s ist? « fragt e er . »Komisch . Da s is t mir heut e morge n ga r nich t aufgefalle n …«
»Was?«
»Di e Akte n au s de n Jahre n einundachtzi g un d zweiundachtzi g … Si e sin d nich t da.«
Kari m scho b di e Schulleiteri n sanf t zu r Seit e un d mustert e die braune n Buchrücken . Jede r Ordne r tru g ei n Etiket t mi t einer Jahreszahl . 1979 , 198 0 … Di e beide n folgende n Jahrgäng e fehlte n in der Tat.
»Wa s steh t den n eigentlic h i n diese n Akten? « fragt e Karim, währen d e r eine n Ordne r herauszo g un d flüchti g dari n blätterte . »Die Name n de r Schüle r jede r Klasse . Di e Noten , di e Bemerkunge n der Lehrer , di e Abwesenheite n … E s sin d sozusage n di e Logbüche r der Schul e …«
Kari m zo g da s Jah r 198 0 herau s un d sucht e nac h de n Schülerlisten.
»Wen n da s Kin d 198 0 ach t war , i n welche r Klass e wa r e s dann?«
»I n de r zweiten . Ode r auc h i n de r dritte n – j e nachdem , wan n es eingeschul t wurde.«
Kari m überflo g di e Listen : kei n Jud e Itéro . »Gib t e s i n de r Schule noc h ander e Unterlage n übe r di e Jahr e einundachtzi g und zweiundachtzig? « fragt e er.
Di e Schulleiteri n überlegt e ein e Weile . »Naj a …« , sagt e sie . »Da müßte n wi r i m Speiche r nachsehe n … D a habe n wi r zu m Beispiel di e Verzeichniss e übe r di e Schulspeisung . Ode r di e Bericht e des Schularztes . Da s is t alle s obe n i m Dachboden . Dorthi n geh t nie
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