Die purpurnen Flüsse
. De r Mörde r hatte de n junge n Man n i n de n letzte n Stunde n de r Nach t überrascht, getötet , zweifello s verstümmel t un d sein e Leich e au f de n Vallernes- Gletsche r verfrachtet . I n de r Kält e de s frühe n Morgen s hatt e sic h die Eiswan d übe r de m Opfe r geschlossen . Abe r da s ware n alle s nur Vermutungen.
De r Kommissa r hatt e di e Fra u z u eine m Gendarme n begleitet , der ihr e Aussag e aufnahm , un d wa r selbst , di e Akt e unte r de m Arm , in seine n Unterschlup f zurückgekehrt , de n kleine n Seminarrau m i n der Universität.
Dor t angelangt , tauscht e e r sein e Bergsteigerausrüstun g gegen eine n seine r Anzüge . Dann , allei n i n seine m Büro , breitet e er sämtlich e Unterlagen , di e e r besaß , au f eine m Tisc h au s un d ging daran , ein e vergleichend e Studi e übe r Rém y Cailloi s un d Philippe Serty s anzustellen , fall s tatsächlic h ei n Zusammenhan g zwischen de m bekannte n un d de m potentielle n Opfe r bestand.
A n Gemeinsamkeite n fan d e r nu r seh r wenig . Beid e Männe r waren Mitt e Zwanzi g un d ähnelte n einande r i m Typ : beid e hochgewachsen un d seh r schlank , mi t regelmäßige n un d zugleic h verstör t wirkenden Gesichtszüge n un d kurzgeschorene n Haaren . Beid e hatte n keinen Vate r mehr : Serty s senio r wa r zwe i Jahr e zuvo r a n Leberkrebs gestorben . Rém y Cailloi s hingege n wa r Vollwais e gewesen : Seine Mutte r hatt e e r i m Alte r vo n ach t verloren . Un d di e letzte Gemeinsamkeit : Beid e hatte n de n Beru f ihre r Väte r ergriffe n – die Cailloi s ware n Bibliothekare , di e Serty s Pflege r i m Klinikum.
Unterschied e hingege n bestande n reichlich . Cailloi s un d Sertys hatte n nich t dieselb e Schul e besucht , ware n nich t i n derselben Umgebun g aufgewachse n un d gehörte n nich t derselben Gesellschaftsklass e an . Au s bescheidene m Milie u stammend , war Rém y Cailloi s i n eine r Intellektuellenfamili e aufgewachse n un d hatte sei n Lebe n vorwiegen d i m Scho ß de r Universitä t verbracht . Philippe Sertys , Soh n eine s obskure n Saalwärters , wa r mi t fünfzeh n i n die Fußstapfe n seine s Vater s getrete n un d hatt e i m Krankenhau s zu arbeite n begonnen . E r wa r ungebilde t un d wohnt e imme r noc h zu Hause , a m Stadtran d vo n Guernon . Rém y Cailloi s hatt e i n seinen Bücher n gelebt , Philipp e Serty s führt e ein e nächtlich e Existen z im Krankenhau s un d schie n keinerle i nennenswerte s Hobb y z u haben: Wen n e r sic h nich t i n de n keimfreie n Gänge n de r Klini k vergrub , saß e r a m Spätnachmitta g i n de m Loka l gegenübe r de m CHR U und vertrie b sic h di e Zei t mi t Videospielen . E r hatt e seine n Wehrdiens t in de r Infanteri e abgeleistet , Cailloi s hingege n wa r ausgemustert worden . De r ein e wa r verheiratet , de r ander e nicht . De r ein e wa r ein begeisterte r Wandere r un d Kletterer , de r ander e schie n au s seiner Umgebun g ni e herausgekomme n z u sein . De r ein e wa r schizophren un d vermutlic h gewalttätig , de r ander e nac h allgemeiner Einschätzun g »sanf t wi e ei n Engel«.
Sowei t bekannt , ware n di e Fakte n eindeutig : Di e einzige Gemeinsamkei t zwische n de n beide n Männer n wa r ih r Aussehe n – da s lange , schmal e Gesicht , de r Bürstenhaarschnitt , di e zaundürre Gestalt . Wi e Barne s gesag t hatte : De r Mörde r hatt e sic h sein e beiden Opfe r offensichtlic h aufgrun d ihre s äußere n Erscheinungsbilds ausgesucht.
Eine n Momen t lan g erwo g Niéman s ei n sexuelle s Verbreche n und stellt e sic h de n Mörde r al s verkappte n Homosexuelle n vor , de r für diese n Ty p Man n schwärmte , doc h e r verwar f di e Ide e gleic h wieder – de r Gerichtsmedizine r hatt e dies e Möglichkei t kategorisch abgelehnt : »Da s is t nich t sein e Welt . Überhaup t nicht. « I n den Wunde n un d Verstümmelunge n de r erste n Leich e hatt e de r Arz t eine Kälte , ein e Grausamkei t un d Methodi k erkannt , di e nicht s mi t der Wildhei t perverse r Trieb e gemei n hatte . Außerde m wa r a n der Leich e kein e Spu r sexuelle r Mißhandlunge n festgestell t worden . Was dann?
De r Wahnsin n de s Mörder s wa r offensichtlic h andere r Art . Die Ähnlichkei t de r Opfe r un d de r Hinwei s au f ein e Seri e – zwe i Morde i n zwe i Tage n – sprache n jedenfall s fü r di e Annahm e eines Psychopathe n mi t zwanghafte n Wahnvorstellungen , de r sich anschickte , weite r z u morden . Fü r dies e
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