Die Quelle
weiter als der Feind, den Ur-Baal töten mußte, und wurde nach und nach zum Schurken Melak, später gar zum Kriegsgott Melak. Und so war aus den Ereignissen des Neujahrstags 2201 v. Chr. ein Mythos geworden: Ur-Baal hatte Melak erschlagen, um Astarte zu beschützen, und allein UrBaals Mut, seine Bereitschaft, mit den Eseln in die Ferne zu ziehen, hatte Makor gerettet:
»Auf den Wolken reite, Ur-Baal,
Auf den Blitzwolken reite.
Siehe, den Sturm wirst Du reiten!«
Libamah, die betörende Sklavin, war in Astarte als der Göttin der Liebe aufgegangen: Ihre Fähigkeit, in Ur-Baal eine solch brennende Leidenschaft zu wecken, spiegelte die schöpferischen, Fruchtbarkeit verheißenden Kräfte wider. Auch Timna, die getreue Frau, war mit Astarte verknüpft worden. Sie hatte Ur-Baal zwar geliebt, gleichwohl jedoch an seinem Tode unmittelbar Schuld getragen. Dadurch aber, daß Timna bereit gewesen war, ihrem Mann barfuß und schwanger in die Verbannung zu folgen, hatte das Bild der Astarte in der kanaanitischen Mythologie einen besonders liebenswerten Zug gewonnen:
»Das Jahr endete, und die Regen kamen,
Auch nach Makor kamen die Regen,
Und Ur-Baal floh zum Olivenhain,
Floh in die Nacht, in Melaks Reich,
Hinab zu Melaks Reich, des Gottes der Nacht.«
Dort wäre Ur-Baal in der Verbannung geblieben, und Makor, durch das Fernbleiben des Gottes um das Frühjahrswachstum gebracht, wäre einer Hungersnot ausgeliefert gewesen, wenn sich Astarte nicht aufgemacht hätte, ihn zu suchen und ihn auf die Erde und zu seinen Aufgaben zurückzulocken:
»Schwanger verließ sie das Tor,
Schwanger mit Kindern vom morgigen Tag,
Suchte das Morgen und ihren Geliebten Ur-Baal.«
Sie hatte den größten der Götter an Melaks Altar gefangen gefunden, in einem furchtbaren Zweikampf Melak erschlagen, seinen Körper in kleine Stücke zerhackt und diese wie Saatkörner über die Felder verstreut. Damit hatte sie den Weizen zum Keimen und die Ölbäume zum Blühen gebracht, und seither war im Kult der Astarte jeden Winter diese ihre Reise in die Unterwelt wiederholt worden.
So wurde Makor gegenwärtig von einer der Stadt wohlwollenden Dreieinheit beherrscht: El, dem unsichtbaren Göttervater, dessen Wesen im Lauf der Jahrhunderte immer unbestimmter geworden war, Baal dem Allmächtigen und seiner Gemahlin Astarte, der ewig jungfräulichen und als Mutter alles Lebens ewig schwangeren. Aber da war noch etwas besonders Eigentümliches: Astarte liebte und haßte Baal zugleich, und dieser Zwiespalt erklärte alles Verwirrende in der Welt, den Gegensatz zwischen Weiblichem und Männlichem, zwischen Nacht und Tag, Winter und Sommer, zwischen Tod und Leben. El, Baal, Astarte. Sie wachten über Makor und führten es durch die Stürme eines unruhigen
Zeitalters. In den vergangenen achthundert Jahren hatten Ägypten und die Reiche Mesopotamiens immer wieder Krieg miteinander geführt um das Land Kanaan; auch fremde Heere, die zu keiner Großmacht gehörten, waren plündernd und sengend durch Kanaan gestürmt. Die kleine Stadt auf dem allmählich sich immer höher erhebenden Hügel hatte jedoch alle Kriege überstanden. Oft war sie belagert, oft besetzt und zweimal niedergebrannt worden. Aber dank des Anteils, den die Dreieinheit so offenkundig an ihr nahm, hatte sie sich noch jedesmal erholt.
Die Stadt sah anders aus als zuvor. Der Hügel war um fast fünf Meter gewachsen und erhob sich nun zehn Meter über die ihn umgebende Ebene. Die älteste Mauer war längst im Schutt versunken, aber sie stand noch fest im Boden als Fundament für spätere, ebenso starke und breite Mauern. Die wilden Hyksos waren von Norden her ins Land eingebrochen, hatten Makor erobert und noch stärker befestigt: Sklaven mußten die Hänge des Hügels mit glatten Steinen belegen, so daß eine Art Glacis entstand, eine keinerlei Deckung bietende Abschrägung außerhalb der Mauer. Damit war Makor praktisch uneinnehmbar geworden. Auch innerhalb der Mauer hatte sich vieles gewandelt. Dadurch, daß die Stadt nun höher lag, waren die vier Monolithen völlig verschwunden; über ihren Spitzen stand ein kleiner Tempel der Astarte. Es gab keine Baalim des Gewitters, des Wassers und der Sonne mehr; alle diese Attribute waren nun in Baal selbst vereinigt. Der große Tempel war nicht mehr, denn Baal wohnte auf dem Gipfel des im Rücken der Stadt gelegenen Berges. Seine Priester wohnten jedoch in der Stadt. Ihre vornehmlichste Aufgabe bestand darin, über die unterirdischen Kornspeicher und
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