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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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religiöses, verstehen Sie. Der Junge da, zum Beispiel. He, mein Sohn!« Der Junge kam lächelnd wieder. »Gehst du manchmal in die Synagoge?«
    »Nein!«
    »Sind deine Eltern fromm?«
    »Nein!«
    »Aber du kennst die Thora? Die Propheten?«
    »Klar«, sagte er und ging.
    »Das müssen Sie bedenken, Cullinane. Jeder Jude, den Sie hier bei der Ausgrabung sehen, kann den Urtext der Bibel besser lesen als Sie Ihren Chaucer.«
    »Sie haben Ihre Behauptung tatsächlich bewiesen«, gab der Ire zu. »Ich bin noch gar nicht beim entscheidenden Punkt angelangt«, berichtigte Eliav. »Wir Juden haben uns in der
    Geschichte behauptet. Wo aber sind die Babylonier, die Edomiter, die Moabiter mit ihrer Vielzahl von Göttern geblieben? Sie sind alle dahin. Aber wir - wir hartnäckige kleine Gruppe -, wir leben weiter. Und wir leben weiter, weil das, was Sie im Deuteronomium gelesen haben, für uns Wirklichkeit bedeutet. Eine entscheidende Stelle muß Ihnen aufgefallen sein. Sie besitzt historische Aktualität, ob es euch Nichtjuden und uns Juden nun gefällt oder nicht.«
    »Welche Stelle?«
    Ohne in der Thora nachzuschlagen, zitierte Eliav: »Denn du bist ein heiliges Volk dem HErrn, deinem Gott. Dich hat der HErr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigenrums aus allen Völkern, die auf Erden sind.«
    »Ich wollte, ich könnte es glauben«, sagte Cullinane.
    »Er glaubt daran«, sagte Eliav, auf den Kibbuznik zeigend, »und das Faszinierende ist, daß er in gleicher Weise daran glaubt wie ich, in einem Sinn, der nichts mit Rasse zu tun hat. Wahrscheinlich würden Sie mich als Freidenker bezeichnen -allerdings einen, der an den Geist des Deuteronomiums glaubt.« Dies war Cullinane zu subtil; er schob die hebräische Bibel zur Seite, doch Eliav nahm sie wieder auf. »Der Schlüssel zum Verständnis des Juden«, sagte er lächelnd, »ist meine Lieblingsstelle in der Thora. Mose wird gepriesen als der größte Mann, der je gelebt hat, der Gott von Angesicht zu Angesicht kannte und so weiter. Aber was wird als letztes von ihm als einem Mann. einem lebenden Mann gesagt? Mir scheinen die Worte von bedeutender Einsicht. Und darum liebe ich das Deuteronomium. Ich will zuerst aus der KingJames-Ausgabe zitieren:    >Und Moses war
    einhundertundzwanzig Jahre alt, da er starb. Seine Augen waren nicht dunkel geworden, und seine Kraft war nicht verfallen.«« Eliav wiederholte den letzten Satz: »>. und seine Kraft war nicht verfallen.« Aber im hebräischen Urtext endet die letzte Lobrede auf einen großen Mann: >Seine Feuchte war nicht entflohene«
    Eliav schloß das Buch und legte die Hand darauf. »Ein Mann, der Gott gekannt hat, der ein Volk geschaffen, der das Gesetz begründet hat, das wir alle noch befolgen. Und als er stirbt, sagt man von ihm: >Er war noch bis zuletzt im Bett tüchtig.< Unser Glaube, Cullinane, ist ein sehr freimütiger Glaube.«
    Achthundert Jahre waren in der Stadt Makor dahingegangen seit jenem Tag, da fünf ihrer Bewohner in ein tragisches Geschehen verwickelt wurden. Klagelieder jener Zeit, mündlich überliefert und vielfach abgewandelt, hatten aus den leibhaftigen Männern und Frauen schließlich Götter werden lassen. So war Joktan der Habiru zu einem himmlischen Fremdling geworden, der mit vielen Eseln von Osten her kam, dem Mörder Schutz zu bieten. Die Sage ließ auch nicht im Ungewissen, wie Makor ihn empfangen hatte: Er war bald in die Stadt aufgenommen worden, weil er willens gewesen war, die Überlegenheit der Götter Makors über die seinen anzuerkennen:
    »Heiß ihn willkommen, den Fremden, Astarte,
    Heiß willkommen den, der von weither kommt,
    Der auf Eseln Dir huldigen kommt.«
    Weitere Verse setzen auseinander, daß Astarte ihm gelächelt hatte, indem sie ihn zu einem der vornehmsten Bürger werden ließ, der das Haus der Fröhlichkeit erbte, einst die Wohnstätte des Mannes, dem er geholfen hatte. Bei Urbaal, dem Bauer, war die Verwandlung sehr viel stärker gewesen. Er, der stämmige Mann, Besitzer großer Ländereien und Vater vieler Kinder, verstrickt in unbeherrschbare Leidenschaft, konnte gar kein Mensch gewesen sein. So war er zum Gott Ur-Baal geworden, vom Himmel nach Makor gesandt; im Lauf der Jahrhunderte hatten die Dichter seinen Namen gekürzt. Jetzt war er der Hauptgott von Makor: Baal der Allmächtige.
    Ganz sonderbar hatte sich der Viehzüchter Amalek gewandelt, der doch in mehr als einer Hinsicht der anständigste Akteur in dem Trauerspiel gewesen war: Er lebte in der Erinnerung

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