Die Quelle
hörte dann aber auf, um den anderen Gästen mit etwas schwerer Zunge zu erklären: »Ich singe gern. Und ich höre gern Lieder. Hört doch, wie der da aus Zypern singt. Ich sage euch, ein Mann, der so singen kann, ist Jahwe nah.« Kaum hatte er den Namen seines Gottes vor den heidnischen Phöniziern ausgesprochen, schlug er sich schon entschuldigend mit der Hand auf den Mund, mußte aber dabei kichern. »Nehmt’s mir nicht übel«, sagte er zu den Wächtern. »Zu Hause nennen sie mich Wiedehopf.« Er stand auf und ging unsicher auf und ab, wobei er seinen Kopf hierhin und dorthin stieß und sein dickes Hinterteil wackelte. »Ich bin ein Wiedehopf«, summte er vor sich hin. »Willst du mit zu den Mädchen?« fragte der Sänger aus Zypern. »Ich? Ich bin verheiratet«, sagte er und beschrieb dem Wirt und den Wächtern seine Frau. »Sie ist ungefähr so groß und sanfter als eine Brise vom Meer. Alles Schöne liebt sie, deshalb habe ich ihr das heute gekauft.« Mit ungeschickten Fingern wickelte er die geflochtene Kette aus. Im flackernden Licht schimmerten die achtzehn vielfarbigen Stränge so schön wie die Frau, für die sie bestimmt waren. »Ich habe die beste Frau der Welt«, sagte er mit der Rührseligkeit des Betrunkenen, »und den besten Freund, auch wenn er ein Moabiter ist. Und ich sage euch eines: Viele reden schlecht von den Moabitern. Sie kämpfen. Und sind schwer im Zaum zu halten. Sie fallen über euch her, wenn ihr nicht. Aber laßt nur. Mein Moabiter, zu dem habe ich Vertrauen. Und eines Tages.« Da erschienen die beiden Haferhändler aus Makor, um zu sehen, wo er blieb. Die Phönizier sagten: »Nun bringt den kleinen Kerl mal heim.« Die Hebräer nahmen ihn bei den Armen, während Wiedehopf versuchte, seine Beine zu strecken. Der Weg führte am Kai entlang, wo die Schiffe vor Anker lagen. Wiedehopf sah das alles nur verschwommen. Aber die Nacht war so wunderschön.
»Ich habe an dem Stollen gegraben, lange, lange Zeit«, lallte er. Und dabei wurde er ärgerlich, weil sein Moabiter nicht mit ihm nach Akcho hatte gehen dürfen. »Der müßte jetzt hier sein«, schrie er,»er hat mehr als die Hälfte der Arbeit getan«, und war entschlossen, alle Moabiter über den grünen Klee zu loben. Aber da gaben seine Knie nach - Wiedehopf verstummte.
Während der Woche, in der Wiedehopf sich in Akcho herumtrieb, schritt die Arbeit an den Stollen voran. Meschab arbeitete nun für zwei: Zuerst kroch er in seinen Stollen und horchte auf die Schläge von der anderen Seite, dann tat er dasselbe in Wiedehopfs Stollen. Immer lauter wurden die Töne, und Meschab empfand es als glückliche Fügung, daß der kleine dicke Baumeister nicht da war. Denn er konnte nun die Lage noch genauer bestimmen und daraufhin die Richtung von Wiedehopfs Stollen etwas verändern. In Wiedehopfs Gegenwart wäre es sicher etwas peinlich gewesen, wenn man entdeckt hätte, daß sein Stollen ein wenig von der Richtung abwich. Aber als Meschab dann noch einmal sah, wie nahe beisammen die beiden Leitschnüre auf Wiedehopfs Seite hingen, wunderte er sich von neuem, daß der Hebräer seinen Stollen überhaupt hatte ausrichten können. »Der kleine Mann ist ein großer Könner«, sagte Meschab zu den Sklaven. »Er muß den Weg durch den Felsen riechen können.« Mit jedem Tag wurden die Schläge vom anderen Stollen deutlicher hörbar, und die Aufregung in den dunklen Gängen wuchs.
Seitdem die Arbeiten am unterirdischen Gang begonnen hatten, war es Meschab zur Gewohnheit geworden, allabendlich, wenn er aus dem Schacht geklettert war, den Baumstamm zu überprüfen, ob er noch gerade lag, und leicht an die beiden Schnüre zu schlagen, um zu sehen, ob sie frei herabhingen. Dann warf er einen Blick auf die Wassermauer, die ganz abgerissen werden sollte, wenn erst einmal der unterirdische Gang in Betrieb genommen war, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und ging in das Haus von Jabaal Wiedehopf neben dem Schacht. In seiner Kammer, die einen eigenen Zugang hatte, wusch er sich und zog ein Gewand an, das er bei seiner Gefangennahme hatte retten können. Meist saß er danach eine Weile still da, um an den Tag zu denken, an dem der Stollen vollendet war und er als freier Mann fortgehen konnte. Die Jahre der Gefangenschaft waren endlos gewesen, aber er hatte sie mit Würde ertragen und seinem Gott und seinem Volk die Treue gehalten. Oft war er auch abends in seinem moabitischen Gewand langsam durch die Straßen gegangen, aus dem Tor und hinüber zu dem
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