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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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an sein dunkles Vorleben und hörte nur noch auf seine Lieder. Eines Tages, als er wieder vor dem Weinladen für eine Schar Kinder sang, war sein Lied ein solcher Aufschrei frommen Dankes, daß sie gebannt stehen blieb, als habe der Fremde nicht ein Horn des Altars gepackt, sondern den Saum ihres Kleides:
    »Dornen griffen nach meinen Füßen,
    Ja, Steine zerstießen meine Ferse,
    Aber Jahwe bewachte meinen Weg von oben,
    Er führte meine Schritte, und ich kam zum kühlen Wasser. Männer verfolgten mich bei Nacht,
    Ja, auf Eseln und Kamelen setzten sie mir nach,
    Und ich war voller Furcht.
    Doch Jahwe sah mich sterben in der Dunkelheit,
    In der Einsamkeit sah Er mich Und führte mit Liebe mich zum Altar.«
    Dieses Lied setzte ein inniges, unmittelbares Verhältnis zu Jahwe voraus, zu dem Gott, der alle früheren Götter weit überragte. Gerschoms Worte machten einen tiefen Eindruck auf Kerith, denn sie führten folgerichtig das fort, was ihr Vater sie gelehrt hatte, als sie ein Kind war. In diesen Liedern herrschte Jahwe nicht nur über die gestirnten Himmel, Er hatte auch Zeit, mitleidig einen Mann zu beschützen, dessen Fuß von Dornen zerstochen war. Dieses Zweifache, von dem Gerschom sang, daß Er die Sterne lenke und zugleich über jeden einzelnen Menschen wache, wurde entscheidend für Kerith: Niemals zwar hatte sie ein Bedürfnis nach Baal verspürt, aber doch das Gefühl gehabt, daß Jahwe ihr nicht jenen echten Trost schenken konnte, den ihre Mitmenschen in Baal fanden. Nun aber sagte Gerschom, daß Jahwe der Gott war, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte: Gegenwärtig war Er, und man konnte Ihn erfahren. Diese Verzückung in Gott hatte bisher dem Glauben der Hebräer, wie er in Makor geübt wurde, gefehlt. Und es war die Offenbarung dieses neuen Jahwe, überbracht durch einen Fremden, die Kerith mit voller Wucht traf.
    Immer häufiger ging sie in den Weinladen, bis es sogar den herumlungernden Färbern auffiel, daß sie weit mehr Öl kaufte, als sie in ihrer Küche brauchen konnte. Immer häufiger stand sie am Eingang des Ladens und starrte auf den Mann mit der siebensaitigen Leier. Schon tuschelte man in ganz Makor, daß sie in den Fremden verliebt sei. Es dauerte nicht lange, bis auch Meschab von dem Klatsch erfuhr. Er ging sofort zu Wiedehopf in den Stollen. Es war im Monat Abib, als man die Gerste erntete und nach Akcho verkaufte, wo man Bier daraus braute. Meschab sagte: »Wiedehopf, dein Weib läuft wie ein Lamm dem Abgrund zu.« Der dicke kleine Baumeister setzte sich. »Was ist denn?« fragte er. »Sie hat sich in Gerschom verliebt.«
    »Ist das der Mann mit der Leier?«
    Meschab sah seinen Freund mitleidig an. »Du bist der einzige Mensch in Makor, der ihn nicht kennt. Und Kerith liebt ihn.« Wiedehopf schluckte und befeuchtete seine Lippen. »Wo.?«
    In dem Stollen war es zu laut für ein Gespräch, deshalb ging der Moabiter mit Wiedehopf zum Hauptschacht. Dort, im kühlen Schatten, sagte er zu ihm: »Als du in Akcho warst und das Eisen gekauft hast, habe ich Kerith kennengelernt. Sie ist eine gute Gattin, wie meine Frau es war, die so lange schon tot ist. Aber sie sehnt sich. die Ungewißheit.«
    Wiedehopf geriet in Aufregung. »Ich weiß genau, was du meinst«, versicherte er, als müsse nicht er, sondern Meschab sich Sorgen machen. »Kerith hat schon immer von Jerusalem geträumt. Sie sagt, dort werde sie glücklicher sein. Und ich. ich habe ganz wichtige Nachrichten.« Er zappelte vor Freude. »Du darfst es aber keinem sagen. Ich habe es noch nicht einmal Kerith erzählt, weil sie sich nicht zu große Hoffnungen machen soll.« Und nun senkte er die Stimme zu einem glücklichen Flüstern: »König David kommt den Stollen besichtigen. Er hat sogar in Jerusalem davon gehört.« Der kleine Baumeister sah sich um und vertraute Meschab noch mehr an: »Selbstverständlich wird er mich mit nach Jerusalem nehmen.«
    Der Moabiter schüttelte mitleidig den Kopf. »Setzt du deine Hoffnung darauf?«
    »O ja! Und dann wird Kerith zufrieden sein. In Jerusalem meine ich.«
    »Lieber Freund, jetzt quält sie sich. Im Weinladen. jetzt.«
    »Ich bin davon überzeugt, daß du übertreibst«, erwiderte Wiedehopf. Meschab merkte, daß er seinen Freund mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurückholen mußte. Deshalb sagte er ohne Umschweife: »Vor drei Jahren, als der Feldherr Amram herkam.«
    »Halt! Sag nichts gegen Amram. Schließlich hast du ihm deine Freiheit zu verdanken.«
    Meschab wollte weitersprechen.

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