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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Tammuz; da sie Baal nicht betrafen, fühlte auch er sich nicht betroffen. Er achtete Jahwe als den Gott der Hebräer - nicht mehr und nicht geringer als die anderen Götter -, und das war alles. Wiedehopf hingegen machte sich seine eigenen Gedanken: Schon sein Name Jab aal zeugte dafür, daß Jahwe den Vorrang hatte vor Baal, und deshalb war Wiedehopf nicht abgeneigt, die Botschaft in Gerschoms Liedern anzunehmen. Als Baumeister aber war er überzeugt, daß Baal auch weiterhin erheblich wirklicher war, als der Fremde zulassen wollte. »Laß ihn nur einmal einen Stollen durch den Felsen treiben«, flüsterte Wiedehopf Meschab zu, »dann wird er Baal nicht so leicht aufgeben.«
    Kerith war am meisten bewegt, durch die Lieder selbst, mehr aber noch durch ihre eigenen sich mehrenden und reifenden Erfahrungen. Was die Lieder betraf, so war sie dankbar, in ihnen eine Deutung Jahwes zu hören, die Strenge und Freude umfaßte. Was aber sie selbst anging, so hatte sie schon vor
    Gerschoms Erscheinen um eine reinere, geistigere Erfahrung gerungen, wie es in den zukünftigen Jahrhunderten viele in Israel tun sollten. Denn Enttäuschungen und Widersprüchlichkeiten in ihrem Leben hatten sie gelehrt, daß Männer wie Frauen als Mittelpunkt ihres Daseins eine Kraft brauchten, an die sie sich halten konnten. Wie aber sollte diese Kraft für den Menschen wirken, wenn man sie zwischen zwei verschiedene Götter aufteilte? Darum konnte es nicht Jahwe geben und Baal. Die Vernunft sagte ihr, daß die Zeit gekommen war, einen Einzigen Gott anzuerkennen, in dem alle kleineren Gottheiten aufgingen, und sie sehnte sich nach der Erkenntnis dieses allumfassenden Gottes. Für sich selbst hatte sie Baal längst aufgegeben, aber jetzt war sie soweit, alle zu verurteilen, die sich weigerten, dasselbe zu tun. Diese ihre Gedanken waren zu einem geringeren Teil entsprungen aus ihrer Sehnsucht nach Jerusalem, zu einem größeren Teil jedoch hatten sie die Sehnsucht erst geweckt. Dieses Makor war doch nichts als eine kleine Grenzstadt, in der es nur um Alltägliches ging, um Dinge, die man sehen und greifen konnte, um Mauern, Ölpressen und Färberküpen, und es war verständlich, daß eine solche Stadt an den alten sichtbaren und greifbaren Göttern festhielt, wie Baal einer war. In Jerusalem hingegen -dessen war sie gewiß - bedeutete Geistiges sehr viel mehr als die Dinge des Alltags. Dort ging es um das Verhältnis Gottes zu den Menschen, um Gerechtigkeit, um den wahren Gottesdienst. In Jerusalem mußte es Menschen geben, die so dachten wie sie.
    Dann war Gerschom gekommen, mit leeren Händen und mit einem Vorleben, von dem niemand etwas wußte, außer, daß man ihn des Totschlags, wenn nicht des Mordes beschuldigte. Und mit einfachen Worten, die durch das Dämmerlicht der weißgestrichenen Räume hallten und durch die engen Gassen der Stadt, hatte er gesagt, daß alles, wovon sie geträumt hatte, wahr sei. Es gab den Einen Gott unbegrenzter Macht, der Freude in die Herzen der Menschen senken und ihnen Gewißheit geben konnte. Mehr als sechs Jahre lang hatte sie sich auf die siebensaitige Leier vorbereitet, die ihr Schicksal werden sollte. Ihr Klang tönte in ihrem Herzen wider, als sei es eine Grotte, eigens dafür gebaut, das Echo nur solcher Lieder hallen zu lassen. Während der langen Tage, an denen sie mit dem Heimatlosen sprach, hatte sie ihm nie erlaubt, sie zu berühren, und nicht ein einziges Mal hatte sie es bereut, wenn er gegangen war. Er hatte ihr eine Botschaft von den Bergen gebracht, und einen Boten umarmt man nicht - man hört ihm zu. Und Gerschom hatte Kerith von dem ersten Augenblick an verstanden, als sie ihm Speise in den Tempel brachte: Sie war eine Frau, die sich nach einer anderen, höheren Welt sehnte, nach dem vollkommneren Lied; in Makor litt sie, dort war sie eine Gefangene im Nebeneinander der Jahwe- und Baalsverehrung. Darum empfand er Achtung für sie und hatte seine Freude daran, ihr vorzusingen, denn sie verstand, was seine Lieder sagten.
    Gerschom wohnte in einem kleinen schmutzigen Verschlag hinter dem Haus des Wollhändlers. Er arbeitete so wenig wie möglich. Er aß, wo es etwas umsonst gab, und trank, was er sich erbettelte oder im Weinladen stahl. Unter den Sklavinnen in der Stadt gab es mehrere, die ihn mit Vergnügen zu sich kommen ließen - er wurde äußerst geschickt im Erklettern von Mauern und Hauswänden. Wo er nur konnte, heimste er ein Silberstück ein, das er den Wachen am Tor gab, damit sie ihn

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