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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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zum erstenmal ihre Schwiegertochter und fuhr fort: »Das einzige, was mir für meinen Sohn zu tun bleibt, ist, daß ich an den Brunnen gehe.« Und dann ging sie selbst mit dem Krug. Aber von nun an wartete Mikal jeden Morgen darauf, daß ihre Schwiegermutter zum Brunnen aufbrach, und jeden Morgen nahm sie ihr den Krug ab und sagte: »Jetzt laß mich das Wasser holen.« Und jeden Morgen lehnte Gomer das Angebot ab, aber ihr Herz schlug höher, daß die Tochter sich abermals dazu bereit erklärt hatte. Dann kamen die Tage des Schreckens. Vom Süden her, östlich von Megiddo, zog das große Heer des Pharao Necho heran, mit Tausenden von Kriegern und mit Streitwagen, deren Staub die Sonne verdunkelte, mit Feldherren im gefalteten Waffenrock und mit Fußvolk, beladen mit Speeren. Nach allen Seiten schnell fächerförmig ausschwärmend, besetzten die Truppen alle Straßenkreuzungen, alle Dörfer und selbst die befestigten Städte.
    »Wir ziehen nach Norden, um Babylon für immer zu vernichten«, berichteten bewaffnete Beauftragte des Pharao dem Statthalter Jeremoth. »Makor hat zweihundert Mann zu stellen, samt Verpflegung. Heute bei Sonnenuntergang.« Ein Schrei der Empörung erhob sich in der Stadt. Aber als Jeremoth die Männer für das ägyptische Heer nur zögernd auswählte, nahmen ihm die Ägypter die Arbeit ab: Sie umstellten die Stadt mit Posten und trieben zunächst alle darin Lebenden, deren sie habhaft werden konnten, ins Freie hinaus. Jeremoth widersprach: Dies seien vor allem Bauern, die für die Ernährung der Stadt sorgten. Doch der ägyptische Feldhauptmann schrie ihn an: »Wenn ihr am Verhungern seid, werden eure Frauen schon auf die Felder gehen. Du hast fünf Töchter, also werdet ihr zu essen haben.«
    Dann durchsuchten die Ägypter alle Häuser und holten jeden Mann heraus, der aussah, als könne er hundert Meilen marschieren. In Gomers Haus ergriffen sie Rimmon. Sofort erklärten sie ihm, er gebe sicherlich einen ausgezeichneten Krieger ab und könne bei den Hebräern Hauptmann werden. Noch ehe er von Mutter und Frau Abschied nehmen konnte, hatten sie ihn bereits außerhalb der Mauern und erteilten ihm Befehle. Rimmon wollte es ablehnen, die Hebräer von Makor gegen die Babylonier zu führen, aber schon nach den ersten Worten schlug ihm ein ägyptischer Krieger - nicht einmal ein Offizier - mit einem Streitkolben in den Nacken, so daß er ohnmächtig zu Boden stürzte.
    Von der Mauer aus sah Gomer ihren Sohn niedersinken. Voller Schrecken meinte sie, man habe ihn getötet, und wie jede Mutter begann sie leise zu schluchzen. Aber da kam eine ihr unbekannte Macht über sie. Ihre hagere Gestalt richtete sich auf, ihr gekrümmter Rücken straffte sich, ihr graues Haar wehte im Abendwind, und mit weit ausgestrecktem Arm wies sie in die Ferne, während sie mit einer Stimme von außerordentlicher Kraft Worte formte, von denen sie selbst nichts wußte - Worte, die über die Stadt tönten und in den Herzen der ägyptischen Eindringlinge widerhallten:
    »Ihr Männer Ägyptens! Allzu lange habt ihr die Kinder Jahwes gequält, allzu lange. Ihr zieht gen Norden in eine Schlacht, den Hyänen und Geiern zur Freude, die sich an euren
    Knochen gütlich tun werden. Ihr stolzen Kriegshauptleute im gefalteten Waffenrock! In der großen Schlacht wird man euch die Augen ausstechen. In Dunkelheit werdet ihr euer Leben verbringen und in Sklavenarbeit für die Babylonier. Ihr frechen gepanzerten Wagenlenker! Eure Pferde werden euch durch Staub und Asche schleifen, und die Steine des Feldes werden eure Schläfen zerschlagen. Ihr Priester, die ihr das mächtige Heer begleitet, um ihm den Segen zu geben, wie werdet ihr von Theben und Memphis träumen« (wenn Gomer ihre Worte hätte hören können, wäre sie zutiefst verwundert gewesen, denn sie wußte nichts von Theben und Memphis), »wie werdet ihr von Ägypten träumen, wenn ihr als Sklaven in den Schächten Babylons euch plagen müßt. Und du, Pharao Necho, reite nach Norden mit fliegenden Bannern und deinen Wagen, deren Räder den Staub aufwirbeln. Aber du wirst vergebens reiten, denn Ägypten ist verloren.«
    Gomers Stimme gellte, ihre Worte klirrten wie Speere, die auf einen Felsen treffen. Ein ägyptischer Hauptmann, der sah, welche Wirkung Gomers Drohung auf seine Truppen hatte, schrie: »Bringt diese Wahnsinnige zum Schweigen!« Jeremoth selbst eilte zu ihr, packte und schüttelte sie. Langsam kam Gomer wieder zur Besinnung, und da sah sie, daß Rimmon nicht tot war,

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