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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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fort und tat ihre Arbeit. Nach vierundzwanzig Jahren endlich kam er nach Hause. Aber nun war sie so alt und gebrechlich, daß des Rabbis Schüler sie wie eine Bettlerin beiseite schieben wollten. Aber, und nun zitiere ich: >Der große Rabbi Akiba gestattete ihr hervorzutreten und seine Füße zu küssen, indem er zu seinen Schülern sagte: Alles, was mein und euer ist, kommt von ihr.<«
    Vered war ärgerlich. »Vergeßt nicht, daß, als Israel zur Zeit der Richter schwach war, Debora das jüdische Volk zum Kampf gegen den Feldherrn Sisera aufgerufen hat.«
    »Wann war das?« fragte der Engländer. »1125 vor der Zeitrechnung.«
    Eliav sagte mit etwas mehr Zurückhaltung: »Und da gab es schließlich auch Hulda, die Prophetin, die in entscheidendem Maße an der Annahme des Deuteronomium als dem Kern des jüdischen Glaubens beteiligt gewesen ist.«
    »Wann hat sie gelebt?« fragte der Fotograf. »Um 621 vor der Zeitrechnung.«
    »Ist es nicht merkwürdig«, fragte Cullinane, »daß jedesmal, wenn wir auf dieses Thema zu sprechen kommen, Sie zwei Frauen erwähnen, die vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden gelebt haben.?«
    »Und was ist mit Beruria?« rief Vered. Keiner der Nichtjuden hatte jemals von ihr gehört. »Oder mit Golda Mei'r?«
    »Was ich sagen will«, meinte Cullinane, »ist, daß die katholische Kirche wirklich ihre Fähigkeit bewiesen hat, Frauen wie die heilige Therese oder Katharina von Siena an den Platz zu stellen, der ihnen zukommt. Und eine protestantische Sekte hat das gleiche mit Mary Baker Eddy getan. Im jüdischen Glauben sehe ich nichts dergleichen.«
    Vered erwiderte eifrig: »Als kleine Mädchen haben wir ein Spiel gespielt, bei dem wir fragten: >Warum wurde die Frau aus Adams Rippe gemacht?<« Und noch jetzt konnte sie die Antwort zitieren: »Gott überlegte, aus welchem Teil des Mannes die Frau erschaffen werden sollte. Er sagte: >Ich darf sie nicht aus dem Kopf hervorbringen, auf daß sie nicht hochmütig werde; noch aus dem Auge, auf daß sie nicht zu wißbegierig werde; noch aus dem Ohr, auf daß sie nicht zu einer Lauscherin werde; noch aus dem Mund, auf daß sie nicht zu geschwätzig werde; noch aus dem Herzen, auf daß sie nicht zu eifersüchtig werde; noch aus der Hand, auf daß sie nicht zu habsüchtig werde; noch aus dem Fuß, auf daß sie nicht zu wanderlustig werde; sondern aus einem verborgenen Teil des Körpers, auf daß sie bescheiden werde.<«
    »Ich habe den Eindruck«, sagte Eliav, »daß in Religionen, die so handeln, wie Cullinane es wünscht, die Frauen recht unglücklich sind, während es bei uns Juden wenig Ehescheidungen gibt, wenig Prostitution und noch weniger Neurosen.«
    »Und außerdem ist doch wohl allbekannt, daß ein Jude den besten Ehemann der Welt abgibt«, setzte Vered hinzu. »Ihr habt nicht das Gefühl, vernachlässigt zu werden?«
    »Wir jüdischen Mädchen und Frauen bekommen, was wir wollen«, antwortete sie fest. »Ein Heim, eine Familie, Sicherheit. Öffentliches Beten in der Synagoge? Das ist etwas für Männer.«
    Je mehr Cullinane über dieses Thema hörte - und es wurde bei vielen Abendmahlzeiten angeschnitten -, desto mehr kam er zu dem Schluß, daß Vered recht habe, allerdings im Sinne des dreizehnten Jahrhunderts. In frühen menschlichen
    Gesellschaftsordnungen war es die Aufgabe des Mannes gewesen, die Götter zu versöhnen, und die Frau hatte sich um das Heim zu kümmern. Aber das war doch dem deutschen Ideal von »Kaiser, Kindern, Küche« gefährlich nahe. Er war gewillt, Eliav darin zuzustimmen, daß einer der Gründe, warum das Judentum innerlich so stark gewesen war, in der sinnvollen Beziehung der Geschlechter zueinander bestanden hatte. Aber er konnte darüber nicht vergessen, daß das Christentum den jüdischen Glauben zum Teil durch seinen gefühlsbetonten Appell an die Frauen besiegt hatte. Die jüdische Religion war eine Religion für Männer, sagte sich Cullinane, das Christentum eine für Frauen.
    Und jetzt, da Vered fort war, dachte er immer öfter über die Frauen nach; deshalb war gerade er es oft, der diese Frage im Speisesaal aufwarf. Tabari behauptete, die Araber hätten die beste Einstellung: »Mein Vater hat einmal gesagt, daß er nie einen neuen Schuh getragen hat, ohne ihn vorher auf dem Kopf seiner vierten Frau geschmeidig zu klopfen. Ihr Amerikaner habt das Verhältnis der Geschlechter zugrunde gerichtet, und Israel wäre schlecht beraten, wenn es eurem Beispiel folgen wollte.«
    »So ist es«, fügte Eliav hinzu.

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