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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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vorkam, zum Narren machen. Er hatte sich geschworen, sich niemals mit einem Mädchen einzulassen, das mehr als zwölf Jahre jünger war als er. Vered war nur sieben Jahre jünger. Außerdem hatte er eine Vorliebe für Mädchen, die kleiner waren als er selbst. Vered war beinahe winzig. Daß sie außerdem Archäologin war, konnte der Anziehung, die Vered ohnehin ausstrahlte, weder Abbruch tun noch sie verstärken. Und die Tatsache, daß sie Jüdin war und er Katholik, berührte ihn kaum. Im Gegenteil. Lächelnd erinnerte er sich an einen Witz, der während seiner Dienstzeit bei der Flotte im Koreakrieg die Runde machte: Ein Soldat ruft seine irische Mutter in Boston an und sagt: »Mama! Hier ist Xavier in Korea. Ich will dich nur darauf vorbereiten, daß ich ein koreanisches Mädchen geheiratet habe.« Zu seiner Überraschung hat die Mutter nichts dagegen. Sie scheint sogar erfreut. »Bring das Mädchen mit, Xavie. Ihr könnt bei uns wohnen.« - »Aber wo sollen wir denn bei dir wohnen, Mama? Das Haus ist doch so klein.« - »Ihr könnt mein Zimmer nehmen, Xavie, denn in dem Augenblick, in dem mir die koreanische Zicke ins Haus kommt, schneide ich mir die Kehle durch.« John Cullinane fiel dabei ein, daß mehr als die Hälfte seiner Freunde mit Frauen verheiratet war, die nicht von ihren Eltern gebilligt wurden - Katholiken mit Baptistinnen, Juden mit Armenierinnen, und dieser Xavier mit einer Koreanerin -, es lohnte sich nicht, weiter darüber nachzudenken.
    So liberale Ansichten John Cullinane heute über diese Frage hatte, so völlig anders war es in seiner Jugend gewesen. In Gary, Indiana, wo er in einer ganz katholischen Umgebung aufgewachsen war, hatte der beliebteste Sport der Jungen darin bestanden, an langweiligen Nachmittagen jüdische Kinder zu hänseln und zu quälen. John und seine Freunde lauerten hinter einem Zaun, Steine in der Hand, bis so ein kleiner Judenjunge sich verstohlen heimschlich. Johlend stürzten sie sich auf ihn, bearbeiteten ihn mit ihren Fäusten und brüllten dabei:
    »Judenjunge, toi, toi, toi,
    Willste kreuzigen ‘nen Goi.«
    Einmal war ein Polizist mit einer Verwarnung zu den Cullinanes gekommen. »Mike, dein Junge hat nicht auf den Kindern von Ginsberg herumzuhacken.«
    »Sauber!« hatte sein Vater getobt. »Ein Vertreter des Gesetzes verplempert seine Zeit mit Albernheiten.«
    »Mike, das muß ein Ende haben. Die Juden beschweren sich beim Bürgermeister.«
    »Worüber? Sie haben doch Jesus gekreuzigt, oder?«
    Warum haben wir das nur getan - diese Frage hatte sich Cullinane in späteren Jahren immer wieder gestellt. Die Antwort war nicht schwer. Alljährlich vor Ostern, in der Passionszeit, hielt der Priester seiner Gemeinde Predigten über die Kreuzigung des Herrn; in seinem irischen Dialekt malte er geradezu inbrünstig das Mysterium des Leidens Christi aus. Der kleine Cullinane und seine Freunde hörten mit wachsendem Abscheu, wie die Juden Jesus verraten hatten, wie sie ihm die Dornenkrone auf das Haupt drückten, wie sie ihn anspien, ihn ans Kreuz nagelten, seine Seite durchbohrten, ihn in seiner Qual verhöhnten und sogar um seine Kleider feilschten. Es war schier unerträglich, und die Vorstellung, daß die Abkömmlinge dieser Juden frei auf den Straßen von Gary herumliefen, machte sie wütend.
    Erst später, als Cullinane die Oberschule besuchte, kam er darauf, daß es nicht die Juden gewesen waren, die Jesus all das angetan hatten, sondern römische Soldaten. Und er konnte feststellen, daß kein einziger Würdenträger der Katholischen Kirche, der mehr war als Gemeindepfarrer, das vertrat, was in Gary geschehen war. Aber das betraf ihn nun schon gar nicht mehr. Aus eigener Erkenntnis wußte er, daß jeder instinktive Haß auf die Juden unsinnig war, und daß es für eine Ablehnung von der Vernunft her keinerlei Gründe gab. So sehr hatte er sich gewandelt, daß er jetzt sogar erwog, eine Jüdin zu heiraten.
    Immer wieder ertappte er sich dabei, daß er über Vered nachdachte. Immer wieder kam ihm aber auch eine Warnung in den Sinn, die er vor Jahren von einem französischen Archäologen in Ägypten gehört hatte: »Viele Ausgrabungen im Nahen Osten sind fehlgeschlagen, weil der liebe Gott kleine Mädchen zu Archäologinnen und kleine Jungen zu Archäologen gemacht hat. Und wenn man sie dann in Zelten am Rande der Wüste zusammenläßt. passieren die merkwürdigsten Dinge. Ganz besonders trifft das auf Ausgrabungen zu, die von Engländern organisiert werden, denn die

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