Die Quelle
Beleuchtung weitermachen«, schlug Tabari vor, aber Eliav war dagegen. Als die Dunkelheit einbrach, waren alle in Makor aufs äußerste erregt. Beim Abendessen zeigten sich die älteren Kibbuzniks genauso begeistert wie die jungen, die an der Ausgrabung teilnahmen, denn es gab kaum eine Familie in Israel, in der nicht mindestens einer die Archäologie als Liebhaberei betrieb, und fast in jedem Haus sah man Feuersteine, Scherben oder andere Zeugnisse der Vergangenheit. Wenn sich alle freuten, kam das aber auch daher, daß jeder im Kibbuz die Arbeit am Tell als »seine« Ausgrabung betrachtete. »Ich habe gehört, daß wir heute auf eine große Sache gestoßen sind«, sagte einer der beim Servieren helfenden Männer zu Cullinane, dessen Augen viel zu sehr strahlten, als daß er seine Erregung hätte leugnen können.
»Wir haben den Eckstein einer alten christlichen Kirche gefunden«, erwiderte Cullinane. »Ein großer Tag!«
»Aber das Herumlaufen zum Schluß?« fragte der Mann. »Worum ging’s da eigentlich?« Er stellte sein Tablett hin und lehnte sich auf den Tisch, als sei er hier der Wirt.
»Wir wissen es selbst noch nicht«, sagte Cullinane. »Können Sie’s nicht raten?« wollte der Kibbuznik wissen.
»Wir werden morgen raten«, antwortete Cullinane. Dieser Mann fing an, ihm ärgerlich zu werden.
Aber der junge Bursche fragte: »Können wir morgen kommen und zusehen?« Da sah Cullinane, daß acht oder neun Leute vom Küchenpersonal sich inzwischen um seinen Stuhl geschart hatten, alle begierig zu wissen, was auf ihrem Tell passiert war. »Also gut«, sagte Cullinane, »seid morgen um sechs da.« Als der Tag begann, waren mehr als hundert Menschen am Graben versammelt. Schweigend beobachteten sie, wie sich die vier besten Archäologen hinunterbegaben, um an dem Stein zu arbeiten. »Haben Sie genug Aufnahmen gemacht?« fragte Cullinane den englischen Kameramann. »Ich hab’ sie noch gestern abend entwickelt. Alles in Ordnung.«
»Haben Sie auch genug Zeichnungen?« Die junge Frau nickte. Jetzt begann Tabari, vorsichtig an den Kanten des Steines zu arbeiten, aber der ließ sich nicht bewegen.
»Wir müssen die Lagen darüber herausnehmen«, schlug Eliav vor. Diese Arbeit nahm fast eine Stunde in Anspruch. Keiner der Zuschauer ging fort. Da hatten sie nun den so wichtigen Stein vor sich; nur noch ein einziger großer Felsblock lastete auf ihm. Cullinane ließ den Fotografen eine letzte Serie Aufnahmen machen. Dann begannen Eliav und er, den hinderlichen Block mit Stemmeisen anzuheben. Langsam drückten sie ihn hoch, bis Tabari, der aufmerksam in die staubige Finsternis starrte, die Oberfläche des Ecksteins erkennen konnte. »Da ist sie«, schrie er, und Dr. Bar-El, die ihm über die Schulter blickte, flüsterte: »Mein Gott. Sie ist unversehrt.«
Sie schoben den Felsblock beiseite und fegten den Staub von der so lange verborgen gebliebenen Oberfläche. Da sah man eingemeißelt einen kleinen, niedrigen Wagen mit seltsam abgeflachten Rädern, darauf ein Kasten mit gewölbtem Dach, flankiert von Palmen. Die Archäologen traten zurück, damit auch die Kibbuzniks diese Kostbarkeit sehen konnten. Niemand sprach ein Wort. Schließlich sagte Eliav: »Ein großer Tag für uns Juden!« Denn was der Stein mit den schlichten Mitteln der Volkskunst zeigte, war überwältigend: Es war jener Wagen, der die hölzerne Bundeslade trug; in ihr hatten einst die Kinder Israel die Tafeln mit den Zehn Geboten vom Berg Sinai in das Gelobte Land gebracht. Ursprünglich mußte dieser Stein einen Ehrenplatz in der Synagoge von Makor eingenommen haben. Als dann das Gebäude von den siegreichen Christen niedergerissen wurde, hatte wohl ein Handwerker seine drei Kreuze auf der anderen Seite des Steins eingemeißelt, die Seite mit den jüdischen Symbolen aber im Mauerwerk der Basilika verschwinden lassen. Welch bewegender Augenblick: Vor den Augen der Juden, die aus dem Exil heimgekehrt waren, um ihren Kibbuz an dieser uralten Stätte zu errichten, erwachten die heiligen Zeichen zu neuem Leben. Dr. Cullinane sah Tränen in den Augen der älteren Kibbuzniks. Mit tiefer Befriedigung ergänzte er seine erste Skizze und verwahrte sie.
Schicht Vit etwa 350 n. Chr.
*
Stein aus einer Synagoge, später in einer Kirche wiederverwendet
Er war kaum damit fertig, als ein Arbeiter schon den nächsten Fund brachte, eine Münze. Sie rundete das Bild des stürmischen Ablaufs dieser Epoche ab: ein römischer Tempel, die Synagoge, die Basilika,
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