Die Quelle
Körper stürzten zu Boden. Mit Messern schnitten verrohte Soldaten herunter, was von der Haut noch heil geblieben war. Dann wurden die Leichen in Stücke zerhackt und auf einen Müllhaufen außerhalb der Stadt geworfen, den verwilderten Hunden und Schakalen zum Fraß. Am späten Nachmittag dieses strahlend schönen Tages erschien ein einzelner Soldat - wahrscheinlich hatte er sich beim Dienst irgend etwas nicht eben Schweres zuschulden kommen lassen - mit Eimer und Besen, um die Blutspuren vor dem Tempel zu beseitigen. Denn die Griechen hielten peinlich genau auf Sauberkeit und Schönheit. In der Nacht begaben sich ein paar Männer aus der so grausam heimgesuchten Judengemeinde von Makor in die Synagoge. Schweigend traten sie zusammen, nur um zu beten. Jehubabel, der in diesem Augenblick sich als geistiges Haupt der Gemeinde hätte erweisen müssen, stand ebenfalls stumm da, von fürchterlichen Gewissensbissen gepeinigt. Er hatte Paltiel erlaubt, seinen Sohn beschneiden zu lassen, ja, er selbst hatte das Messer geführt und den Bund geschlossen. Er also hätte am Pfahl gegeißelt werden müssen, nicht Paltiel. Er hatte seinem eigenen Sohn erlaubt, sich den Griechen anzuschließen, er hatte gestattet, daß er sich nackt im hellen Licht des Tages zeigte wie ein Heide, der nichts von JHWH weiß. Jehubabels Rat war es gewesen, der die Juden veranlaßt hatte, sich nicht dagegen zu wehren, daß Schweine in der Synagoge geopfert wurden, womit sie für immer verunreinigt war. Und jedes Wort, das er mit dem Statthalter Tarphon, seinem Freund, gesprochen hatte, fiel nun mit erdrückender Wucht auf ihn zurück. Aber sogar jetzt, in dieser Stunde äußerster Demütigung, war Jehubabel unfähig, sich aufzuraffen und die Juden zur Erhebung gegen ihre
Unterdrücker anzufeuern. Als endlich einige jüngere Männer fragten, was nun geschehen solle, konnte er nur wieder mit einer seiner schalen Spruchweisheiten antworten: »Wir müssen klug sein, denn der, welcher sich nicht leicht erregen läßt, ist stärker als der Mächtige, und wer sich beherrscht, ist mächtiger als jeder Herrscher.«
Aber mit solchen Gemeinplätzen war es vorbei, als sich gegen Mitternacht zwei Juden einstellten, die bereit waren, freiwillig den Martertod auf sich zu nehmen: Der Bäcker Zattu und sein Weib Anat erschienen mit ihrem Säugling und wiederholten die schrecklichen Worte: »Unser Sohn ist acht Tage alt.«
»Ihr wart bei der Hinrichtung?« murmelte Jehubabel. »Ja, das waren wir.«
»Und ihr wollt doch die Gefahr auf euch nehmen?«
»Wenn wir nicht treu zu Adonai stehen, sind wir nichts«, sagten beide gemeinsam den Satz, den sie miteinander auswendig gelernt hatten. Jehubabel sah sich in der Synagoge um. »Ist ein Spitzel unter uns?« fragte er furchtsam -jedermann in der Synagoge wußte, daß ein Verräter das Schicksal der Gemeinde in seinen Händen hielt. So ging der Bäcker Zattu von einem zum andern und fragte: »Habe ich deine Einwilligung, meinen Sohn beschneiden zu lassen?« Solchermaßen mußten alle Anwesenden ihre Mitschuld an dem bestätigen, was Zattu und seine Frau beabsichtigten.
Immer noch unentschlossen und widerwillig ging Jehubabel heim, das kleine Messer zu holen. Abermals fragte seine Frau, was vor sich gehe. Er nahm sie mit in die Synagoge. Hier endlich kam ihm zu vollem Bewußtsein, was der Bund zwischen JHWH und Seinem Volk bedeutete. Jetzt endlich vergaß er all seine abgedroschenen Sprichwörter. Schlicht und einfach sagte er: »Was wir heute nacht tun, führt zum Krieg mit dem Königreich der Heiden. Es gibt kein Zurück mehr.
Wir werden aus Makor fliehen und in den Sümpfen leben müssen wie die Tiere der Wildnis. Wollt ihr, daß ich die Beschneidung vornehme?« Ein Murmeln der Zustimmung war zu hören. Aber noch einmal verlor Jehubabel, der so entschlossen angefangen hatte, den Mut. Sich an Zattu und Anat wendend, fragte er in kläglichem Ton: »Wißt ihr wirklich, was ihr vorhabt?« Gemeinsam wiederholten sie: »Wenn wir nicht treu zu Adonai stehen, sind wir nichts.«
Und dann überkam Jehubabel eine innere Wandlung. Nicht von ihm selbst ging sie aus: Zu der ersten Beschneidung war er von Paltiel gezwungen worden, der mit Frau und Kind den bitteren Tod der Glaubenszeugen hatte sterben müssen. Wäre es nach Jehubabel gegangen, hätte er nichts gegen diese Herausforderung des Antiochos unternommen. Jetzt war der Augenblick da, in dem er ganz allein vor JHWH hintreten mußte, ohne Schutz, ohne seine Sprichwörter,
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