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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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erleben müssen: Ein junger Jude stolzierte nackt vor jungen Frauen, und die starrten mit weit aufgerissenen Augen auf das Merkmal, das ihn von den anderen unterschied! Angesichts des nackten Menelaos hatten die Juden sich nur noch mehr in ihre Gewänder gehüllt, als könnten sie so die Schamlosigkeit des jungen Mannes wiedergutmachen. Und alle empfanden Mitleid für Jehubabel.
    Die Läufer waren seit ein paar Tagen fort. Da nahmen die Soldaten der Garnison Makor, einem von Tarphon hinterlassenen Befehl zufolge, erneut eine Durchsuchung jüdischer Häuser vor, um zu überprüfen, ob es inzwischen zu Verstößen gegen die Gesetze des Antiochos Epiphanes gekommen war. Völlig überraschend suchten sie sich wahllos hier ein Haus, dort eine Familie heraus. So kamen sie auch zu dem Bauern Paltiel und entdeckten, daß sein kleiner Sohn beschnitten worden war. Sie packten das Kind, schleppten die Eltern ins Gefängnis und schickten einen Läufer - er trug einen Stab aus Ebenholz als besonderes Zeichen seines Amtes - mit der Nachricht an den Statthalter Tarphon in Ptolemais: »Der Jude Paltiel ist auf frischer Tat bei einem Verstoß gegen das Gesetz ertappt worden. Entsprechend Eurem Befehl müßten er und sein Weib innerhalb von zwei Tagen hingerichtet werden. Oder wollt Ihr die Hinrichtung bis zu Eurer Rückkehr aufgeschoben wissen?« Am Nachmittag schon kehrte der gleiche Bote mit der erwarteten Antwort zurück: »Es ist mir unmöglich, Ptolemais zu verlassen. Verfahrt wie befohlen.« Die Soldaten hatten richtig geraten: Ihr Befehlshaber hatte zwar die Durchsuchung veranlaßt, wünschte aber zur Zeit der Hinrichtungen abwesend zu sein. Eben aus diesem Grunde waren die Haussuchungen vorgenommen worden, während er sich in Ptolemais aufhielt.
    Es war einer jener Tage vollkommener Schönheit, wie sie in Galilaea am Ende des Herbstes erstrahlen, wenn die Sommerhitze zu Ende ist und der Winterregen noch nicht begonnen hat. Das Erdreich ist von kräftigem Taufall erfrischt, die Olivenbäume erholen sich von der Last ihrer Früchte; die Weinlese ist beendet, die Ochsen brauchen nicht zu arbeiten. Am Himmel ist nicht eine einzige Wolke, nicht einmal Dunst von der See her, aber eine kühle Brise streicht manchmal über das Land und zeigt an, daß kälteres Wetter bevorsteht. Galilaea ist zu allen Jahreszeiten, ein Meisterwerk der Natur - eine Landschaft, in der das Herz sich daran erfreuen kann, daß der
    Mensch ein Lebewesen ist, das seine Erde lieben darf, wie der Hirsch die Wälder des Hochlands liebt oder die Biene die Felder, über die sie hinwegsummt. Im Herbst aber ist es dort besonders schön, und wenn von Zeit zu Zeit gerade in diesem kleinen Landstrich große Gedanken gedacht worden sind, so hat das sicherlich seinen Grund auch darin, daß die Schönheit des Landes - eine Schönheit, die eher im Vertrauten liegt als in mächtigen Wasserfällen oder hochragenden Bergen - noch immer die Menschen geprägt hat, die dort gelebt haben. Niemals aber war Galilaea so schön wie in diesem schicksalsträchtigen Jahr, in dem das Reich der Seleukiden nicht nur in Galilaea, sondern auch in ganz Erez Israel und selbst in Jerusalem so festgegründet schien. Es war, als halte selbst die Natur den Atem an, um zu sehen, was sich in der Auseinandersetzung zwischen der Macht des Königs Antiochos Epiphanes und dem Willen von ein paar wehr- und waffenlosen Juden ereignen werde.
    In jenem Herbst sah es zumindest in Makor ganz so aus, als ob Antiochos sich durchsetzen werde, denn als man die Juden der Stadt vor dem Tempel des Zeus zusammentrieb, waren sie nichts als ein verschreckter Haufe. Die Wachen hatten bereits zwei Pfähle aufgerichtet; zwei Henkersknechte warteten, die Geißel mit den Bleikugeln in der Faust. In der Stille eines wunderbaren Morgens wurden die Schlachtopfer auf den Platz gestoßen: der kleine Bauer mit den vorstehenden Augen, seine Frau, unauffällig wie ihr Mann, und der Säugling. Die Windeln wurden dem Kind weggerissen. Ein Krieger hielt es an den Füßen in die Höhe, um zu zeigen, daß es in Übertretung des Gesetzes beschnitten worden war. Mit grauenhafter Geschwindigkeit blitzte ein Schwert auf und spaltete das Kind in zwei Teile. Bevor noch die Eltern aufschreien konnten, waren ihnen schon die Kleider heruntergezerrt. Man band sie an die Pfähle. Fünfzig Hiebe zerfetzten den Leib des Mannes, fünfzig den der Frau. Zitternd vor Furcht und Entsetzen senkten die zum Zusehen Gezwungenen den Kopf.
    Die verstümmelten

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