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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Antiochia anzutreten.«
    »Und ich werde dich dorthin mitnehmen«, antwortete Tarphon. »Aber in Ptolemais habe ich neben erfreulichen Neuigkeiten auch weniger gute erfahren.« Menelaos lächelte nicht mehr. »Was denn für welche?« fragte er. Wieder einmal war Tarphon davon beeindruckt, mit welcher Nüchternheit dieser junge Mann bereit war, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Er ist ein wahrer Grieche, dachte der Gymnasiarch, aber. Umständlich versuchte er das, was ihm selbst so unangenehm war, auseinanderzusetzen: »Wenn ein Jude in Antiochia gewinnt, würde das größtes Aufsehen erregen. Ich weiß sogar, wie gern der König es sähe, wenn sich einer von euch einen Hauptpreis holt. Es wäre. ich meine, es würde beweisen, daß wir im Reich niemanden gering achten. daß wir alle gute Griechen werden, wenn wir nur wollen. Ich gebe zu, daß es zwischen Antiochia und den Juden geringfügige Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Nehmen wir nur deinen Vater.«
    »Worauf wollt Ihr hinaus?«
    Tarphon wischte sich den Schweiß von der Stirn und fuhr fort: »Ich will sagen. wir alle wollen. in Antiochia gewinnen.«
    »Ich auch«, erwiderte Menelaos. Jetzt wußte er, daß er eine schlechte Nachricht zu hören bekam.
    »Aber Antiochos hat angeordnet, daß keiner zum Wettkampf antreten darf, der beschnitten ist. So etwas würde dem Geist der Spiele widersprechen.« In dem dampferfüllten Raum herrschte Schweigen. Wie unter einem Zwang blickten beide Athleten auf den sichtbaren Beweis des Bundes mit JHWH. Anfangs war Menelaos im Gymnasion wegen dieses Zeichens aufgefallen, seine Altersgenossen hatten ihn gehänselt, denn er war der einzige Jude, der hierher kam, und zunächst hatte er allein üben müssen. Dann aber, nach seinen ersten Siegen, war er seiner selbst sicher geworden, und inzwischen hatten sich auch alle Athleten an den Anblick gewöhnt. Sie blickten nun auf den Beschnittenen mit dem gleichen unpersönlichen Interesse, wie etwa auf einen Jungen, dem eine Zehe fehlt. Für sie war Menelaos dreierlei: Grieche, Meister im Ringen und beschnittener Jude; der Grieche und der Meister - das war wichtiger als der Jude. In Antiochia hingegen, der Hauptstadt des Seleukidenreiches, hatte man noch nie einen jüdischen Athleten gesehen. Dort würde man die Tatsache der Beschneidung sicherlich für eine Entweihung des als Tempel der olympischen Götter angesehenen Menschenleibes halten, und das gab bestimmt einen Skandal. Menelaos sah dies auch ein, er begriff es sogar noch klarer als Tarphon. Und so war er es, der die Lösung vorschlug: »Gibt es in Ptolemais nicht einen Arzt, der das Zeichen unsichtbar machen kann?«
    »Es gibt einen, aber es ist furchtbar schmerzhaft.«
    »Und wenn ich den Schmerz ertrage?«
    »Dann ginge es.«
    Bedachtsam erwog Menelaos die Möglichkeiten all dessen, was der Statthalter soeben gesagt hatte. Noch allerdings vermochte er sich nicht zu entscheiden. Tarphon, der die Verwirrung des Jungen begriff - denn wer war schon bereit, dem tiefsten Wesen ererbter Religion zuwiderhandeln zu wollen? -, drängte ihn in diesem Augenblick nicht zu einer Äußerung, sondern reichte ihm einen Schaber. Dann ließen die beiden Athleten sich von Sklaven massieren. Erschöpft und physisch entspannt waren sie nun, in diesem schönsten Augenblick des Tages: nach harter Leibesübung der Körper gesäubert und jede nichtige Sorge abgeschüttelt. Fast hätte man diesen Augenblick den »griechischen« nennen können, so vollkommen spiegelte er das Ideal der Hellenen. In dieser kurzen Spanne zugleich auch geistigen Wachseins erkannte Menelaos, ehe er auf der gepolsterten Bank in Schlaf fiel, die ganze Tragweite dessen, was er mit dem Gymnasiarchen besprochen hatte.
    »Sagt es mir aufrichtig, Herr. Habe ich denn überhaupt Aussicht, in Antiochia zu siegen?«
    »Ich habe mit allen gerungen, die aus Tyros nach Ptolemais gekommen sind. Keiner schlägt dich.«
    »Und wenn ich in Antiochia gewinne, wird dann Athen folgen?«
    »Wie der Tag auf die Nacht«, sagte Tarphon. Es gefiel ihm, wie sachlich dieser junge Jude die Dinge der Reihe nach erörterte. Die Operation, die der Arzt in Ptolemais erdacht hatte, um die Merkmale der Beschneidung unsichtbar zu machen, war außerordentlich schmerzhaft; man durfte sich ihr nicht leichtfertig unterziehen. Ein schlecht beratener Jude aus Jaffa hatte Selbstmord verübt, weil die Qual soviel größer gewesen war, als er erwartet hatte. Aber wenn Aussicht bestand auf den hohen Preis des

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