Die Quelle
fragte Cullinane.
»Aus den gleichen Gründen wie in Rom«, erklärte Tabari. »Es macht Spaß, hinter einem Mann herzujagen, der vor einem lossaust. Aber es macht noch mehr Spaß, bequem in einer Arena zu sitzen und den Löwen zuzusehen, wie sie einen Menschen jagen. Die Griechen und die Engländer haben den Sport geschaffen. Die Römer und die Amerikaner haben ihn zum Show-Busineß herabgewürdigt. Und die Araber und die Juden haben gesagt, zum Teufel mit diesem ganzen Unfug.«
»Aber der Sinn des fair play, des Sich-Vertragens, wenn die Waffen ruhen, der rührt doch von den Spielen her. Wir alle haben ihn sehr nötig«, meinte Eliav. »Wenn nicht aus diesen Erfahrungen, woher sonst sollten wir in unserem Teil der Welt unsere Lektionen lernen?«
»>Er hat mich in den Hintern getreten, als ich nicht aufpaßte<«, zitierte Tabari die Devise seiner Familie, »>und da habe ich ihn ins Gesicht getreten, zweimal, als er aufpaßte.<«
»Wie erklären Sie sich den großen Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament in diesen Fragen?« fragte Cullinane. »Ich kann mich an Dutzende von Stellen aus den Briefen des heiligen Paulus über das erinnern, was wir heute Sport nennen.«
»Das kann nur der griechische Einfluß gewesen sein«, antwortete Eliav. »Paulus hat die großen Spiele in Antiochia miterlebt. Er spricht dauernd von Ringkämpfen, Wettläufen und gewonnenen Preisen. Von ihm haben die Christen ihre Auffassung vom sittenstrengen Leben als einem Ringen gegen einen Gegner übernommen, während wir Juden den
Wettkampf auf diesem Gebiet verabscheuten. Wenn man alles in allem bedenkt, hatten vermutlich die Christen recht.« Cullinane wollte eine Stelle aus den Paulusbriefen zitieren, die sich auf den sportlichen Kampf der antiken Athleten bezog, aber er blieb stecken und ging in sein Arbeitszimmer, um eine Bibel zu holen. Im Ersten Korintherbrief fand er die Worte, die man ihm schon als Jungen eingehämmert hatte: »Wißt ihr nicht, daß die, welche in der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, daß aber einer den Siegespreis erhält? Lauft ihr nun so, daß ihr ihn erlangt! Jeder aber, der sich am Wettkampf beteiligen will, legt sich Enthaltsamkeit in allen Beziehungen auf, jene, um einen vergänglichen Kranz zu empfangen, wir aber einen unvergänglichen. So laufe ich denn nicht ziellos und treibe den Faustkampf so, daß ich keine Lufthiebe führe; sondern ich zerschlage meinen Leib und mache ihn mir dienstbar, um nicht, nachdem ich als Herold andere zum Kampf aufgerufen habe, mich selbst als des Preises unwürdig zu erweisen.« Er schloß die Bibel und fragte: »Ist das nicht das Ideal des Sportsmanns, zu kämpfen, um zu gewinnen, aber sich in der Gewalt zu behalten, während man kämpft?«
»Eigentlich bin ich froh«, sagte Eliav, »wenn ich sehe, daß nun auch Juden bei den Olympischen Spielen mitkämpfen. Wir haben erst sehr spät entdeckt, daß die Griechen in diesen Dingen sehr wohl wußten, was sie taten.«
»Wenn nun die Araber das gleiche tun«, ergänzte Tabari, »wenn wir gemeinsam das letzte Stück Weg zurücklegen und uns die britische Auffassung des fair play zu eigen machen, dann könnten wir, wenn das Spiel vorbei ist, da anfangen, wo uns die Griechen vor mehr als zweitausend Jahren stehengelassen haben.« Er beobachtete durch den Feldstecher die ferne Regatta und verkündete: »Das dreieckige Segel ist weit vorn und beweist, daß der heilige Paulus recht hatte: In jedem Rennen gibt es nur einen Gewinner. Die Frage ist nur, mit welchem lausigen Trick man den anderen Burschen reinlegen kann, um sicher zu sein, daß er verliert, ohne daß man selbst dabei erwischt wird.«
Die Stadt Ptolemais, in die der Gymnasiarch Tarphon während der schönen Herbsttage des Jahres 167 v. Chr. seine Läufer führte, glich in nichts mehr dem alten Akka der Ägypter oder dem Akcho der Phönizier. Diese alte Siedlung hatte landeinwärts dichtgedrängt auf einem Hügel gelegen, von dem man auf dem Fluß Belus hinabsehen konnte. Ptolemais jedoch, eine der vielen Städte in Vorderasien, um die sich der in dieser Hinsicht weitblickende Antiochos Epiphanes besonders kümmerte, lag kühn auf einer ins Meer vorspringenden Halbinsel, erstreckte sich aber ins Hinterland bis in das Gebiet des alten Akka-Akcho. Innerhalb einer hohen Mauer lag Ptolemais als ein nahezu freier griechischer Stadtstaat, mit eigener Volksversammlung der freien Bürger, mit dem Recht, eigene Münzen zu prägen, und mit eigener frei gewählter
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