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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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gebrochenen Sonnenlicht einen Anblick, wie ich ihn nie zuvor bei einer Mauer gesehen hatte.
    Seitdem wurden im ganzen Königreich die Sklaven angewiesen, die Blöcke in der Art des Herodes zu behauen.
    Wie viele sind in jenen Jahren behauen worden? Es müssen fast eine Million gewesen sein. Ganze Heere von Sklaven verbrachten ihr Leben damit, die Kanten von Blöcken zu behauen. Eine Million solcher Steine? Abermillionen! Dabei sind die größten Blöcke in den Mauern des Tempels von Jerusalem dreimal so lang, wie ein Mensch hoch ist, und entsprechend mächtig in den übrigen Abmessungen. Zweihundert Mann waren nötig, einen solchen Stein von den weit entfernten Brüchen heranzuschaffen. Aber jeder dieser Riesensteine paßte genau an den vorgesehenen Platz, und bei jedem waren die Kanten so behauen, wie Herodes es bestimmt hatte.
    Er mochte mich nicht nur, weil ich ihm viermal in höchst schwieriger Lage Beistand geleistet hatte, sondern weil ich ständig um ihn war, als er Mariamne kennenlernte, eine Prinzessin aus dem Haus der Makkabäer. Im Falle einer Heirat konnte er durch sie zu einem Anspruch auf den Thron von Judaea kommen. Aber ich wußte, daß er sie aus ganz anderen als dynastischen Gründen liebte. Sie war eine erregende, eine herrliche Frau, geistreich und erfahren auch in der Liebe. Ich denke noch an einen Tag, als sie mit Herodes und ihrer Freundin Schulamit durch Makor ging, Mariamne in der Mitte, rechts bei Herodes eingehängt und links bei Schulamit - alle drei waren bildschön anzusehen. Wir vier kamen damals oft zusammen, wir lachten und sprachen griechisch. Und dann fragte ich in Jericho eines Nachts Herodes, ob er es für richtig halte, wenn ich eine Jüdin heirate. Er antwortete, daß auch er dies beabsichtige. In den letzten Jahren ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob Herodes diese bezaubernde jüdische Fürstentochter geliebt hat oder ob er sie nur deshalb heiratete, weil er sich den Anspruch auf den Thron sichern wollte. Schulamit und ich wissen Bescheid. Wir haben sie beide schon in den Jahren gekannt, als Herodes’ Liebe zu Mariamne weit stärker war als meine Liebe zu Schulamit - um so vieles stärker, daß ich mich gefragt habe, ob ich überhaupt ein normaler Mann sei. Er war vernarrt in sie, und völlig hingerissen war er, als sie ihm zwei kräftige Söhne schenkte, Alexander und Aristobulos. Ich war zugegen, als die Knaben ihre Namen erhielten. Ich weiß, wie heiß die Liebe der Eltern war.
    Und ich wußte damals, warum Herodes seine Mariamne liebte. Sie war eine strahlende Erscheinung. Durch ganz Judaea reiste sie und eroberte sich und ihrem Gatten die Liebe des jüdischen Volkes. Selbst Schulamit vergaß in jenen glücklichen Jahren, daß ihr König kein Jude war, daß er sich den Thron arglistig erschlichen hatte. Sie vergaß es, weil jene, denen er die Königswürde abgejagt hatte, sie jetzt wiedererhalten hatten, in der Person der Königin Mariamne. Während dieser hellen Jahre hörten die Hinrichtungen auf, und die Söldner stürmten nicht mit ihren Kurzschwertern auf die Juden los, weder in Jerusalem noch sonstwo im Reich. Herodes und Mariamne waren zwei glücklich Liebende, ganz so wie im Gedicht, und wenn zwischen Schulamit und mir eine tief beglückende Liebe erwachsen ist, so ist es, glaube ich, zum Teil daher gekommen, daß wir Zeugen von Herodes’ und Mariamnes unvergleichlicher Zuneigung waren. »Welche Erinnerung an die Zeit ihrer Liebe steht am deutlichsten vor dir?« frage ich meine Frau bei unserem Frühstück an diesem letzten Tag unseres Lebens. »Jener Morgen in Ptolemais«, antwortet sie, ohne zu überlegen. Herodes kam aus Ägypten zurück, von einem Staatsbesuch bei Kleopatra. Sein Schiff mußte Ptolemais anlaufen, das nicht zu seinem Königreich gehörte, sondern zur römischen Provinz Syrien. Caesarea war noch nicht erbaut, und wir hatten keinen anderen Hafen. Zu dritt waren wir da, um ihn zu empfangen. »Ich sehe ihn noch, wie er die Laufplanke vom Schiff herabkam, über Baumwollballen sprang und seine Königin begrüßte - wie ein Knabe war er mit seiner von Herzen kommenden Liebe. Ich habe ihm vieles vergeben wegen dieses Tages. Wie lange ist das her, Timon?«
    Ich weiß es nicht mehr genau. Aber ich weiß noch, wie wir vier hier in Makor zusammengesessen haben am Vorabend der schwersten Prüfung, die Herodes zu bestehen hatte. Damals hing sein Schicksal an einem Seidenfaden. In dem fürchterlichen Kampf zwischen Marcus Antonius und Octavian

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