Die Quelle
Sein Schwert hing lose an der linken Hüfte.
»Aber ihr wußtet doch, daß Herodes wahnsinnig ist.«
»Sprecht nicht so gegen den König«, warnte mich der Söldner. »Er ist tot. Wir warten nur auf die Bestätigung.«
»Ich meine, euch müßte daran liegen, daß er noch lebt«, knurrte der Germane. »Ihr habt meine Frage nicht beantwortet. Warum solltet ihr den Befehlen eines Toten gehorchen?«
»Weil, wenn der eine König fort ist, ein anderer kommt«, erklärte der Germane. »Wenn Herodes tot ist, wie Ihr sagt, dann gibt es in Antiochia oder sonstwo einen neuen König, der Befehle gibt, und über ihm steht der Kaiser in Rom. Was macht es schon für einen Unterschied, wer uns befiehlt, was wir zu tun haben. Irgendwo ist immer ein König.«
Juden kamen, um mit Schulamit zu beten. In ihren bärtigen Gesichtern, die hart waren wie Eisen, fand ich die Antwort auf die Frage, die ich selbst mir gestellt hatte, als ich hörte, was die Krieger sagten. »Hier auf Erden ist immer ein König«, hatte der Germane gesagt. Jawohl, ein König, der Befehle gibt. Aber wie oft sind sie unsinnig oder gar unmenschlich! Wie viele Morde hatte Herodes befohlen! Deshalb muß es über allen Königen Einen höchsten König geben, Einen, der alle Dinge gerecht beurteilt und zu gegebener Zeit die Fehler der irdischen Herrscher berichtigt. Gibt es eine solche Ordnung nicht, so bleibt das Tun eines Sterblichen wie Herodes unfaßbar.
Ich sah mir die Juden an, die ich nie verstanden hatte, denn sie waren immer ein Volk gewesen, das sich gegen die anderen abschloß, das den Römern weder Liebe noch Duldung entgegenbrachte. Und jetzt wurde mir klar, daß nicht Herodes und seine Freunde Judaea und vielleicht sogar das ganze Reich sittlich zu festigen vermögen, sondern diese bärtigen, unnachgiebigen Männer. Zwischen Juden und Römern wird es Krieg geben - davon bin ich immer mehr und mehr überzeugt -, und zweifellos wird auch der Tempel als Sinnbild des Judentums verschwinden müssen. Aber die Grundsätze dieser jungen Männer, die Rechtlichkeit, die ich in ihren Gesichtern erblickte - das muß letztlich triumphieren. Zum erstenmal tat es mir leid, sterben zu müssen. Denn ich wäre gern Zeuge dieses Aufeinandertreffens gewesen. Einst habe ich geglaubt, daß Roms Herrschaft von Dauer sein werde. Herodes hat mir diesen Glauben genommen. Es muß etwas anderes kommen, eine Macht, die auch Wahnsinnige zu zügeln weiß. Hat Herodes in seinem Irrsinn nicht befehlen wollen, alle Säuglinge in Bethlehem ermorden zu lassen, falls sich die Gerüchte von der Geburt des wahren Königs der Juden bewahrheiten sollten? Er ist zwar von diesem grauenhaften Vorhaben abgekommen, aber muß nicht endlich eine Macht sich durchsetzen, die einen Mann wie Herodes von weiteren Wahnsinnstaten zurückhält? Wie gern hätte ich die Boten dieser Macht bei ihrem Eintreffen begrüßt!
Schulamit und ich haben gestern stundenlang über diese Dinge gesprochen. Meine Achtung vor ihrem Glauben, in den ich mich zuvor nie sonderlich vertieft hatte, war sehr viel stärker geworden, als ich zu Bett ging. Ich sage »zu Bett ging«, als sei dieser Tag nur ein weiterer in einer langen Reihe sich gleichbleibender Tage gewesen. Aber das stimmt nicht. Wahrscheinlich werden wir nie mehr zu Bett gehen. Niemals mehr werde ich sehen, wie Schulamit sich erhebt, einer Blume gleich, die im Frühling zum Blühen kommt, und im Nichts des Todes werde ich sie, wenn mir dann noch ein Erinnern erlaubt ist, mehr vermissen, als ich zu sagen vermag. Meine drei Söhne - einer ist in Antiochia, einer in Athen und einer in Rhodos - werden ihr gleichen, und wenn auch sie in einigen Jahren sterben, dann wird ihr liebliches Bild vergessen sein. Als Jüdin hat sie nie zugelassen, daß ich ein Porträt von ihr anfertigen ließ, denn wie die Tapferen, die den Adler der Römer herunterrissen und dafür bei lebendigem Leibe verbrannt wurden, sah sie in jeder bildlichen Darstellung eine Gotteslästerung. Eine Weisung, die Mose den Juden gegeben hat, verbietet es ihnen, sich abbilden zu lassen. Aber nun muß ich lächeln, denn solange Makor steht, werden die acht vollkommenen Säulen ihr Denkmal sein. Sie sind ihrem wahren Wesen näher, als jedes Gemälde es sein könnte, denn sie geben wieder, was sie wirklich war: eine große Seele von makellosem Ebenmaß, ernst und schön. Wie ihre Säulen, so steht sie da mit ungeschmücktem Haupt und nichts in ihren Händen tragend, denn sie ist eine freie Frau. Nur die Juden
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