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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Rußland. Die beiden Gruppen unterschieden sich voneinander aber auch hinsichtlich ihrer Sprache: Die Aschkenasim sprachen meist das auf dem Mittelhochdeutschen fußende Jiddisch, viele Sefardim hingegen bedienten sich des Ladino oder des Spaniolischen, einer Mischsprache aus Hebräisch und Altspanisch. Auch das Hebräische sprachen beide Gruppen verschieden aus; hier nun galt die sefardische Aussprache als klassisch und hatte das moderne in Israel gesprochene Hebräisch - das Iwrith -bestimmt. Auch in der Synagoge befolgten Aschkenasim und Sefardim einen unterschiedlichen Ritus; dem der Aschkenasim wurde häufig der Vorzug gegeben.
    In der Zeit vor dem Naziterror und vor der Gründung des Staates Israel hatten sich die Unterschiede zwischen den Aschkenasim und den Sefardim ausgeglichen und waren sogar beinahe verschwunden. Von den sechzehneinhalb Millionen Juden waren volle fünfzehn Millionen Aschkenasim gewesen; sie leiteten alle wesentlichen Organisationen, Parteien, Richtungen. »Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt je einen Sefardi kennengelernt habe«, überlegte Cullinane. »Wahrscheinlich gab es in Chicago kaum welche.«
    Doch mit der Ausrottung von sechs Millionen Aschkenasim im Zweiten Weltkrieg und dadurch, daß weitere drei Millionen in der Sowjetunion von jeder Verbindung mit dem übrigen Judentum abgeschnitten waren, hatte sich der relative Anteil der Sefardim gewichtig erhöht, und als der Staat Israel gegründet wurde, ergab sich aus seiner geographischen Lage in Vorderasien, daß er mehr sefardisch-orientalische Juden beherbergte als europäische Aschkenasim. Plötzlich war aus einem bisher ständig schwindenden Faktor einer von zentraler Bedeutung geworden. »Die Juden werden mit dir über diese Fragen nicht reden wollen«, sagte Tabari, als er Cullinane nach Akko fuhr, um dort einzukaufen. »Sie hoffen, das Problem erledigt sich von selbst, falls man es nicht zu stark aufbauscht.«
    »Warum redest du von einem >Problem    »Nun, als Araber stehe ich den Sefardim natürlich näher, und vielleicht beurteile ich die Dinge mehr von ihrem Standpunkt her. Aber ich glaube, nicht voreingenommen zu sein, wenn ich behaupte, daß die Sefardim mehr als fünfzig Prozent der Bevölkerung von Israel ausmachen, aber weniger als fünf Prozent der guten Stellen in der Hand haben.«
    »Mangelnde Ausbildung?« fragte Cullinane.
    »Und ihre bequeme Lebensart.« Der Araber dachte nach und fuhr dann fort: »Umschreiben wir’s folgendermaßen: Falls ich einmal mit ein paar Juden einen Camping-Ausflug machen sollte, dann wären mir Sefardim schon sehr viel lieber. Denn dann wüßte ich mit Sicherheit, daß ich mich amüsiere. Aber wenn ich eine Fabrik hätte, die mir Profit bringen soll, würde ich zweierlei machen: als Geschäftsführer einen Aschkenasi einstellen und als Arbeiter so wenig Sefardim wie nur möglich.«
    In Israel, einer Nation, ins Leben gerufen in bewußter Ablehnung jeglicher Diskriminierung, mutete diese Situation geradezu unglaubhaft an. Aber Cullinane sagte das nicht. Nach einer Weile fragte er: »Wie ist das mit unserer Ausgrabung? Haben wir da auch Sefardim?«
    »Natürlich nicht beim Stab. Sie haben einfach nicht die nötige Vorbildung. Und im Kibbuz sind auch keine, denn vom Leben dort halten die Sefardim nichts. Aber unter den Studenten, die bei uns freiwillig mitmachen, sind zwei Sefardim. Und selbstverständlich sind es auch alle unsere Marokkaner.« Er fuhr ein paar Minuten schweigend weiter und fügte dann hinzu: »Gute Aschkenasim wie Vered und Eliav befürchten sogar, die fortdauernde Einwanderung werde Israel in einen sefardischen Staat verwandeln.« Cullinane fragte, ob das denn schlecht wäre, doch Tabari entgegnete: »Siehst du, mein Guter, es gehört sich für mich als Araber nicht, über eine Sache zu sprechen, die allein die Juden angeht. Frage Eliav. Oder Vered.«
    »Habe ich getan. Aber die sagten nur: >Völlig belanglos.««
    »Da sie Aschkenasim sind, ist von ihnen nichts anderes zu erwarten.« Er traf diese Feststellung ohne Bitterkeit, aber mit einer Endgültigkeit, die besagte: Ich habe hierzu nichts weiter zu bemerken. Noch ehe er hundert Meter weitergefahren war, setzte er jedoch hinzu: »Am besten werden die Dinge durch folgendes illustriert: Ein Herzspezialist aus Amerika hat einmal tausend Juden in Israel untersucht. Bei vierundsechzig Prozent der Aschkenasim waren Anzeichen für mögliche

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