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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Herzleiden vorhanden. Bei den Sefardim: weniger als zwei Prozent potentiell Herzkranke.«
    In Akko imponierte Cullinane aufs neue die leichte Art, wie Tabari von einem Lädchen zum nächsten ging, mit jedermann seine Späße machte und dabei all die Kleinigkeiten aussuchte, die im Lager gebraucht wurden. Doch nach einer Weile -Tabari war gerade in einem Laden - schlenderte er zu einem kleinen Haus aus Lehmziegeln, weil es darin recht laut zuging. Er lauschte eine Weile dem Gesang und Geschrei und wollte schon weitergehen, als eine korpulente Frau ihn von der Tür aus anrief: »Kommen Sie doch herein, Amerikaner.« Sein
    Spanisch taugte nicht viel; immerhin hatte er bei einer Ausgrabung in Arizona einige Brocken aufgeschnappt. »Que vaya?« fragte er.
    »Elija-Feier«, sagte sie und reichte ihm eine Flasche Bier. Und mit den Ellenbogen nach vorn und hinten stoßend, pflügte sie ihm eine Gasse durch die wimmelnde Menge und führte ihn zu einer kleinen Synagoge, etwa so groß wie ein Hotelschlafzimmer und angefüllt mit vielleicht fünfzig bärtigen, schreienden, glücklichen orientalischen Juden. Der Vorraum quoll über von Frauen und Kindern, Säuglingen und kläffenden Hunden. Der Gottesdienst hatte noch nicht begonnen; es herrschte ein wildes Hin und Her mit Bierflaschen, israelischen Sandwichs - verschiedene Lagen von Süßigkeiten zwischen dünnen Brotscheiben -, einer scheußlichen Brauselimonade und Tellern voll Paste aus gemahlenen Kichererbsen. Die Stimmung war außerordentlich heiter, und der Lärm wuchs noch, als ein dicker Synagogendiener anfing, in bellendem Ton: »Du da!« zu rufen. Erst als man Cullinane freundschaftlich in die Rippen boxte, begriff er, daß der Synagogendiener ihn meinte.
    »Setz deinen Hut auf im Bet ha-Kenesset!« schrie der Dicke.
    Cullinane hatte keinen Hut, aber die umfangreiche Dame zauberte ein Käppchen für ihn herbei und haute es ihm auf den Hinterkopf. »Jetzt sind Sie ebenso gut ein Jude wie wir«, sagte sie in fließendem Englisch. »Was für eine Elia-Feier ist das?« fragte er. »Wir gehen in seine Höhle«, erklärte sie. »Wo ist sie?«
    »In Haifa.«
    »Zu Fuß? In dieser Hitze?« Von Akko bis Haifa mußten es mehr als zwanzig Kilometer sein.
    »Zu Fuß sieben Meter.« Sie lachte. »Den Rest des Weges per Bus.« Er solle sich nur den Männern in der eigentlichen Synagoge anschließen. Als Cullinane etwas verzagt bezweifelte, daß sich dort auch nur noch einer hineinquetschen könne, meinte sie »Machen Sie nur von Ihren Ellbogen Gebrauch«, und versetzte ihm einen kräftigen Stoß in den Rücken.
    Schon das erste Erlebnis in der Synagoge wurde für Cullinane unvergeßlich. Neben der Tür des überfüllten Raumes saß ein Schwachsinniger, ein gut aussehender, freundlich dreinblickender Mann etwa Mitte der Zwanzig, im rundlichen Gesicht das glückselige Lächeln eines Menschen, der keinerlei Last einer Verantwortung zu tragen hat. Auf seinen Zügen leuchtete Heiligkeit. Alle, die bei ihm vorbeikamen, bückten sich, um ihn auf die Stirn zu küssen, und er blickte zu jedem auf - mit den mitleidsvollen Augen des Einen JHWH. ES war ein erschütterndes Erlebnis, diese alten bärtigen Juden zu sehen, die sich bückten, Gottes Stellvertreter zu küssen. Cullinane dachte: Jetzt weiß ich endlich einen Unterschied zwischen Sefardim und Aschkenasim. Kein deutscher Jude würde sich so weit demütigen, dies zu tun.
    Der Gesang war köstlich, ein Widerhall aus dem Alten Testament, aus der Zeit, als die Hebräer in Zelten an den Rändern der Wüste gelebt hatten - orientalischer Gesang, langgezogenes Klagen mit Sequenzen, wie Cullinane sie nie zuvor gehört hatte, leidenschaftlich gesungene leidenschaftliche Musik. Soweit er beurteilen konnte, enthielt sie nichts Jüdisches, sondern war das zeitlose Wehklagen der Wüste. Plötzlich aber bekam er ganz anderes zu hören, aus der Vorhalle, wo die Frauen dichtgedrängt standen: ein wildes Kriegsgeschrei - eine gelindere Bezeichnung vermochte er nicht zu finden. Mehrere Frauen stießen schrille Rufe aus und ließen dabei ihre Zungen trillern. Die Wirkung war nervenzerreißend; Cullinane verließ die eigentliche Synagoge, um die Dicke zu fragen, was das neue Geschrei zu bedeuten habe. Aber zu seiner Verblüffung mußte er feststellen, daß sie die Schreienden sogar anführte. »Was soll das?« fragte er.
    Sie stellte ihr Geschrei ein und lachte. »Nennen Sie mich Schulamith«, sagte sie. »Es ist das Geschrei, das die Araberfrauen

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