Die Quelle
elend umkommen mußte. Sie hatten anfangs versucht, mit Wasser zu helfen, aber damit wurde das Öl nur noch weiter über den Körper des Gemarterten verteilt, wurden die Schmerzen vervielfacht. Ein gallischer Legionär, der in ohnmächtigem Zorn seinen Zeltgefährten sich in Todespein winden sah, stach ihm den Speer durch den Hals und gab ihm so einen barmherzigen Tod. Zu diesem Zeitpunkt kam Vespasian an eine Stelle der Mauer, wo sechs Legionäre sterbend am Boden lagen und nach dem Gnadenstoß schrien. Der Feldherr kniete zu Haupten eines Mannes nieder, den er als alten verdienten Soldaten kannte und strich ihm mit den Fingern über die verbrühte Stirn, Öl, sagte er sich, als er seine Finger gegeneinander rieb. Olivenöl. Eiskalt waren seine Augen, als er sich an Trajanus wandte: »Ich befehle, daß bei der Einnahme der Stadt so viel als nur möglich lebende Gefangene gemacht werden.«
Am Abend dieses Tages begann Josephus mit dem Graben. Er ließ Jigal, Naaman und die Offiziere zu sich kommen, die er nach Makor mitgebracht hatte. Mit wenigen dürren Worten verkündete er: »Es ist von größter Wichtigkeit, daß ich nicht in die Hände der Römer falle. Ich werde in Jotapata und in Jerusalem gebraucht. Ungern verlasse ich Makor in diesem entscheidenden Augenblick, doch das Wohl der Juden verlangt, daß ich mich. an Aufgaben begebe, die nur ich.«
Jigal widersprach nicht. Seit jeher hatte er gewußt, daß Josephus ein wichtiger Mann war. Doch als der Befehlshaber der jüdischen Streitkräfte in Galilaea auseinandersetzte, wie er zu fliehen gedachte, erschrak Jigal. »Ich habe meinen Pionieroffizier die Lage untersuchen lassen«, sagte der junge Feldherr. »Er meint, daß es keine Schwierigkeiten macht, einen kleinen ansteigenden Stollen zu graben, der von der Quelle zu einem Punkt außerhalb der Mauer führt, ins Wadi, wo keine römischen Posten stehen.«
»Du willst die ganze Stadt in Gefahr bringen, um dich zu retten?« fragte Jigal ungläubig.
»Gefahr für euch ist keinesfalls damit verbunden. Wir durchstoßen das letzte Stück Erde in der Nacht«, erklärte Josephus, »und schütten den Ausgang sorgfältig zu. Niemand wird es je merken.«
»Wenn aber ein römischer Posten zufällig.«
»Wir haben die Stelle mehrere Nächte hindurch beobachtet.«, begann Josephus. Aber Jigal hörte ihm nicht mehr zu. Er hatte genug verstanden: Dieser allzu kluge junge Mann hatte im gleichen Augenblick, in dem er den Einsatz von siedendem Öl befahl, bereits seine eigene Flucht beschlossen. Um sich zu retten, war Josephus bereit, die Grenzfeste, die Judaea deckte, aufs äußerste zu gefährden. Jigal war fassungslos. Kein Wort hörte er von dem, was Josephus über die Einzelheiten seines Planes sagte - wann und wo mit dem Graben zu beginnen sei, und daß man den Schutt nicht auf die Straße hinaus bringen dürfe, damit keine Panik entstehe. Erst die letzten Worte des Josephus holten ihn mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurück.
»Ich habe beschlossen«, sagte Josephus, »nur zwei mitzunehmen, meinen treuen Markos und Naaman.«
Wie es Josephus vorausgesehen hatte, machte der Vorschlag, den alten Schriftgelehrten zu retten, seinen Plan all denen schmackhaft, deren Mitwirkung erforderlich war. »Wir Juden brauchen unsere weisen Männer«, argumentierte Josephus, und selbst Jigal gewann den Eindruck, dieser ungestüme, in vielen anderen Dingen so eitle junge Mann liebe seinen jüdischen Glauben ebenso aufrichtig wie die Männer, deren Arbeit sein Volk bedurfte: Männer von der Art des Rab Naaman. Ja -dieser Josephus war ehrlich, wenn er vorschlug, den Alten zu retten, weil er wußte, daß Naaman benötigt wurde, sofern das Judentum weiterbestehen sollte.
Schließlich nahm Naaman selbst das Wort: »Jigal, Bruder meiner jungen Jahre, ich werde dafür sorgen, daß die aufgewühlte Stelle unkenntlich gemacht wird, damit meine Stadt in Sicherheit bleibt.« Der alte Mann beharrte so sehr bei dieser Einzelheit, daß Jigal sich fragte: Hat er am Ende schon von dem Plan gewußt, als ich bei ihm war, um ihn für meinen Einspruch gegen die Verwendung des Öls zu gewinnen?
Jigal sollte keine Antwort erhalten auf die heikle Frage, denn schon in der Nacht begann die Arbeit an dem Stollen. Bis auf wenige Fuß näherten sich die Grabenden dem mächtigen Gitter aus Monolithen, das Jabaal Wiedehopf vor mehr als tausend Jahren in die Erde versenkt hatte, und umgingen es seitlich. Und während Vespasian, Titus und Trajanus alle ihre
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