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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Truppen in massiertem Angriff gegen die zum Untergang verurteilte Stadt warfen, wurde weitergegraben, bis jene Neumondnacht kam, in der man den Stollen zur Oberfläche durchbrechen konnte.
    Josephus hatte angeordnet, daß sich in dieser Nacht möglichst wenig Verteidiger auf den Mauern zeigen sollten. Jigal jedoch hatte die Absicht, sich von der Flucht der drei selbst zu überzeugen. Bei Einbruch der Dämmerung legte er seinen Gebetsmantel an, leitete das tägliche Abendgebet daheim und spielte mit seinen hungrigen Enkeln, bis es Schlafenszeit für sie war. Er lächelte seinen Kindern zu und nickte anerkennend, als seine Frau den Tisch abräumte, auf dem das Essen immer knapper geworden war. Gegen Mitternacht begab er sich wie zufällig zu einem kleinen Haus in der Nähe des Brunnenschachts; nur ein paar Männer waren hier wartend versammelt. Endlich trafen auch Josephus und Rab Naaman ein. Der Schriftgelehrte war in den letzten Wochen zu einem gebeugten Mann geworden, dessen trübes Auge die Gegenwart nicht mehr sah, sondern nur noch weit in die Zukunft schauen konnte. Vom Söldner Markos geführt, gingen die beiden zum Brunnenschacht, wo Naaman Jigal seinen Segen erteilte: »Auf irgendeinem Wege wird der HErr diese Stadt und Seine geliebten Juden retten.« Krieger halfen dem alten Mann in den Schacht hinab.

Am Brunnen angelangt, streckte Josephus Jigal seine Hand entgegen. Dieser Josephus - wer konnte es ahnen? - stand in diesem Augenblick an der Schwelle eines Lebensweges, so ungewöhnlich und so glänzend, daß er Rom und alle Welt verwirren sollte. Josephus: Zum Verräter der Juden Galilaeas wird er werden. Aus Jotapata wird er mit vierzig Überlebenden entkommen und sich in einer Höhle verstecken. Er wird mit ihnen einen Schwur ablegen, gemeinsam in den Tod zu gehen, beim Auslosen aber die Strohhalme so geschickt zu halten verstehen, daß er als letzter zu sterben hat. Und wenn dann alle mit durchschnittener Kehle daliegen, wird er fliehen und sich Vespasian ergeben. Die Römer wollen ihn töten, aber da geschieht das Unglaubliche: Mit lauter Stimme, wie ein Prophet aus alter Zeit, verkündet er, der Feldherr Vespasian werde zum Kaiser erhoben werden, und auch für dessen Sohn Titus sehe er die Kaiserwürde voraus. Vespasian läßt ihn frei. In nächster Umgebung des Feldherrn, dessen Familiennamen Flavius er annimmt, und seines Nachfolgers Titus, wird er, nun als Flavius Josephus, Zeuge der Zerstörung Jerusalems und der Vernichtung des jüdischen Volkes. In Rom wohnt er in einem Hause Vespasians als Bürger des Römischen Reiches und bezieht eine Pension; er wird der Vertraute dreier aufeinander folgender Kaiser - Vespasians, Titus’ und Domitians - und überlebt sie alle. Von ihnen begünstigt, schreibt er außergewöhnliche Bücher - Bücher, in denen die Juden schlecht gemacht und die Römer gefeiert werden, zur gleichen Zeit aber auch solche, in denen er das Judentum verteidigt. Vieles von dem, was wir über vierhundert Jahre nachbiblischer Geschichte der Juden wissen, verdanken wir seiner begabten Feder. Und als er schließlich, fast siebzig Jahre alt, stirbt, hat er sich selbst mehr als einmal so geschildert, wie er wohl im
    Urteil der Nachwelt zu bestehen wünschte:    als
    vertrauenswürdig, intelligent, treu und überaus heldenhaft. -Und dieser Josephus, jetzt noch Befehlshaber der Juden in Galilaea, stand nun am Brunnen, reichte Jigal die Hand und sagte: »Ich rufe das ganze Land auf, sich gegen die Römer zu erheben. So wird Vespasian gezwungen sein, von Makor abzuziehen. Eure Stadt wird nicht fallen.« Er küßte Jigal zum Abschied. Seine letzten Worte an die Männer, die er verriet, waren: »Weint nicht um mich. Ich bin ein tapferer Krieger und nehme auch die Gefahren des Stollens auf mich.« Damit verschwand er im Dunkel.
    Heimlich, damit die römischen Posten ihn nicht entdeckten, blickte Jigal von der Mauer aus hinab in das Wadi. Er hatte keine Ahnung, wo der Stollenausgang sein konnte. Aber nach einiger Zeit bemerkte er, undeutlich nur in der mondlosen Nacht, drei Gestalten. Er vermochte sie nicht voneinander zu unterscheiden, sah aber, daß einer - der am langsamsten sich bewegte - bei dem Loch stehenblieb, mit den Füßen den Boden fest trat und die Spuren zu verwischen suchte. Doch einer der beiden anderen zog ihn fort.
    »Allmächtiger Gott!« flüsterte Jigal. »Sie haben das Loch nicht zugeschüttet.« Besorgt wartete er bis zum Morgengrauen. Und da konnte er sogar von der Mauer

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