Die Quelle
können wir nicht«, antwortete Jigal. »Wir können Nero nicht als Gott anerkennen.«
»Jigal!« brüllte der stämmige alte Soldat. »Öffnet euer Tor, und zwar sogleich. Dann wollen wir den Abend gemeinsam in Frieden verbringen.«
»Das können wir nicht«, wiederholte hartnäckig der Jude.
»Du hast unsere Macht gesehen. Du weißt, daß wir euch mit der Zeit unweigerlich zermalmen. Es ist die letzte Gelegenheit für euch - willst du dich in Ehren ergeben?«
»Nein. Wir wollen deine goldenen Adler nicht anbeten.«
»Ich werde dich sterben sehen, Jigal«, rief der berühmte Feldherr aus der zunehmenden Dunkelheit; von den Römern unbemerkt, zog Josephus Jigal am Gewand und flüsterte: »Gut hast du ihm geantwortet.«
Als es Nacht geworden war, versammelte Vespasian, vom Widerstandsgeist der Juden verblüfft, seine Stabsoffiziere in seinem Zelt unter den Ölbäumen und fragte: »Wo nehmen die Juden nur ihre Anmaßung her?«
»Sie sind schon immer halsstarrig gewesen«, sagte Trajanus. »Sie fordern nur wenig, aber auf dem Wenigen bestehen sie.«
»Hast du schon früher gegen sie gekämpft?«
»Nein, aber in Alexandria habe ich sie kennengelernt. In geringfügigen Angelegenheiten machen sie keinerlei Schwierigkeiten, in großen aber.« Der Kommandeur der Fünfzehnten Legio Apollinaris verzog sein Gesicht. »Was für große? Geht’s um die Götter?«
»In Glaubensangelegenheiten sind sie besonders unnachgiebig«, antwortete Trajanus.
»Was für einen Glauben haben sie denn?«
»Ehe wir Rom verließen, habe ich mich erkundigt«, erklärte Titus. »Die Juden verehren einen goldenen Esel, der in ihrem Tempel in Jerusalem steht. Jedes Jahr einmal küßt jeder fromme Jude den Hintern dieses Esels.« Die Offiziere lachten. Titus fuhr fort: »Ihr oberster Gott ist Baal, derselbe Baal, den unsere Vorfahren schon in Karthago kennengelernt haben. Sie verstümmeln sich gegenseitig, mit ihrer sonderbaren Beschneidung. Das scheint ihre Fruchtbarkeit allerdings nicht zu beeinträchtigen, denn es gibt etwa dreieinhalb Millionen.« Vespasian runzelte die Brauen, aber Trajanus beschwichtigte ihn: »Die Zahl klingt bedeutender, als sie ist. Die Juden sind ein streitsüchtiges Pack, und vom Drill halten sie gar nichts. Geht es gut, sind sie tapfer, aber wenn es schlimm kommt, sind sie nichts als Pöbel, der schnell auseinanderläuft.«
»Ich kann bei diesem Jigal vom Olivenhain kaum Anzeichen von Entmutigung erkennen«, sagte Vespasian. Er verließ sein Zelt und wanderte unter den Ölbäumen umher. Die mußte sein Gegner doch wohl viele Jahre lang gepflegt haben. Sein
Bauernauge sah, daß sie gut gepflegt waren. Zu seinem Zelt zurückkehrend, steckte er den Kopf durch die Klappe und sagte zu den Offizieren: »Glaubt ihr, daß dies sein Hain ist?«
»Wessen Hain?« fragte Trajan.
»Jigals. Gegen ihn kämpfen wir doch.« Doch ehe Titus seinen Vater daran erinnern konnte, daß Jigal gesagt hatte, er arbeite im Hain und nicht, der Hain gehöre ihm, schloß Vespasian die Zeltklappe und nahm seine einsame Wanderung wieder auf. Er kam zu einem alten Baum, den man geschickt beschnitten hatte, um reichere Ernte zu erzielen. Vespasian erkannte, daß ein Meister in seinem Fach tätig gewesen war. Mit der Faust gegen die Rinde schlagend, murmelte er: »Dieser Jigal hat die Wahrheit gesprochen. Er ist wirklich Landarbeiter. Er kann unmöglich die taktischen Kniffe beherrschen, welche die Juden heute angewandt haben.«
Ärgerlich stieß er mit dem Fuß gegen die Wurzeln des Baumes. Plötzlich aber wurde er ruhig, holte tief Atem, ballte die Fäuste und rief in die Nacht hinein: »Beim Geist meines Vaters, der andere ist hier!«
Schnell ging er zum Zelt zurück, riß die Klappe auf, zerrte Titus von dem Feldbett hoch, auf dem er saß, und rief: »Du hattest in Ptolemais unrecht.«
»Unrecht?«
»Josephus ist in der Stadt«, sagte Vespasian und ging im Zelt auf und ab. »Er muß irgendwie vor unserem Eintreffen nach Makor gekommen sein. Denn kein Olivenbauer besitzt Kenntnisse genug, den Angriff eines Belagerungsturms abzuschlagen, wie die Juden es heute getan haben.«
»Was willst du machen?« fragte Trajanus.
»Diesen Josephus, diesen Feldherrn der Juden, werde ich mit nach Rom schleppen. In Ketten werde ich ihn im Triumphzug mitführen. Und wenn die Trommeln schweigen, werde ich ihn erdrosseln lassen.«
Vespasian legte sich schlafen, erhob sich aber bereits eine Stunde vor Tagesanbruch und ging dann selbst, seinen Sohn Titus
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