Die Quelle
vorhatte. Sehr ernst fragte er den jungen Feldherrn der Juden, ob das wirklich notwendig sei. Der nickte.
»Aber bisher haben wir einen anständigen Krieg geführt«, sagte Jigal aufbegehrend.
Josephus erwiderte: »Du hast den Krieg gewollt. Komm jetzt nicht und schreie, weil ich Maßnahmen treffe, ihn zu gewinnen.«
»Aber meinst du denn, mit solchen Grausamkeiten irgend etwas zu erreichen?«
»Warum nicht? Sie sind durchaus geeignet, dem Vespasian die Angriffe zu verleiden.«
»Sie können aber auch.«
Josephus wandte sich von den Feuern ab, über denen das Öl erhitzt wurde. »Jigal«, sagte er verärgert, »wenn die Römer die Stadt je einnehmen, bist du der erste, den sie umbringen. Das weißt du. Seit einiger Zeit weißt du das. Warum also bist du jetzt feige?«
»Feige?« antwortete Jigal. »Feige zu sein - damit habe ich vor siebenundzwanzig Jahren aufgehört, als ich Petronius waffenlos entgegengetreten bin. Seit diesem Tag habe ich den Tod nicht mehr gefürchtet. Dich und mich, Josephus, uns beide schlagen die Römer tot. Aber wenn wir ehrlich kämpfen, verschonen sie vielleicht unsere Frauen und Kinder. Was du jetzt vorhast, gibt ihnen guten Grund, nicht nur dich und mich umzubringen, sondern auch die Kinder.« Als Jigal zu verstehen gab, daß auch Josephus damit rechnen mußte, hier in Makor zu sterben, wurde der Feldherr blaß. Er hielt den Atem an, starrte wütend auf Jigal, als sei es ungehörig, eine solche Möglichkeit auch nur zu erwähnen, und schickte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung fort. Seinen Männern rief er zu: »Schürt die Feuer. Und macht die Leitern fertig.«
Jigal eilte zum Haus des alten Naaman, um ihn für seinen Einspruch gegen Josephus’ Vorhaben zu gewinnen. Aber der Alte war ganz in seine heiligen Bücher versunken - und nichts vermochte ihn in diese Welt zurückzurufen. »Rab Naaman«, bat Jigal, »etwas Furchtbares soll geschehen. Nur dein Wort kann es verhindern.«
»In Frage, Jigal«, sagte Naaman, »in Frage steht nicht mehr Makor, sondern das ganze jüdische Volk. Wie können wir überleben? Hitzköpfe wie du und Josephus haben auf Krieg bestanden, und deshalb werden wir hinweggefegt werden. Die Synagoge wird zerstört werden, und unsere Kinder werden sie in Käfigen davonführen, damit sie unter den Heiden als Sklaven dienen. Mich kümmert nicht, was Josephus im gegenwärtigen Augenblick tut oder nicht tut. Mich bekümmert nur das jüdische Volk, denn was wir in den kommenden Monaten und Jahren tun, kann endgültig über unser Volk entscheiden.«
Vergeblich versuchte Jigal, den Alten zu einem Gespräch über das zu bewegen, was Josephus mit dem Öl beabsichtigte;
Naaman sprach nur noch über die Zukunft. »Wir haben Babylon dank großer Juden überlebt, wie Ezechiel es war und Rimmon aus unserer Stadt. Und auch weil die Perser uns geholfen haben. Wer aber wird uns diesmal erretten, da es keine Perser mehr gibt? Wenn wir diesmal Makor verlassen, verlassen wir es für immer, und unsere Kinder und die Kinder ihrer Kinder, alle künftigen Geschlechter verbringen ihr Leben in fremden Ländern.« Voller Angst packte der alte Mann Jigals Arm und rief: »Wie sollen wir überdauern?« Der Landarbeiter fand keine Gelegenheit zur Antwort, denn von der Mauer her vernahm er Geschrei: Die Juden Makors jubelten, und es klang, als sei der Sieg ihnen sicher. Jigal verließ Naaman. Er mußte zu den Seinen. Aber er war sich dessen bewußt, daß alles, was jetzt dort draußen geschah, nicht den Sieg brachte, sondern ein Ende mit Schrecken.
An sechs Stellen der Mauer, überall dorthin, wo römische Wandeltürme in Stellung gegangen waren, hatten Josephus’ Männer Kannen mit siedendem Öl und kleine Schöpfeimer gebracht. Im Schutz von Bogenschützen lagen sie auf der Lauer: Sobald ein Legionär in ihre Reichweite kam,
übergossen sie ihn mit dem sprudelnden Öl. Begeistert schrien sie Triumph, wenn das heiße Öl unter die Rüstung rann. Gefangener seiner Rüstung, war der Römer gegen diese heimtückische Waffe wehrlos. Es half nichts, wenn er mit beiden Händen versuchte, sich die Rüstung aus Metall und Leder vom Leibe zu reißen - das kochend heiße Öl verbrühte ihm die Haut, er verlor das Gleichgewicht, brüllend vor Schmerz stürzte er, rollte den Hang hinunter und starb einen qualvollen Tod. Das Abscheulichste aber war, daß die Kameraden tatenlos zusehen mußten, wie einer der Ihren, vor rasendem Schmerz sich wälzend und verzweifelt um Hilfe bettelnd, so
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