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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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aus den verräterischen Erdhaufen und den dunklen Kreis der Öffnung erkennen. »Binnen einer Stunde werden die Römer die Stelle entdecken«, stöhnte er und stellte sich vor, was geschehen mußte, wenn sie den Stollen von der Öffnung bis hinab zur Quelle verfolgten. Die Stadt schien verloren.
    Schnell beauftragte Jigal alle Frauen, die er nur erreichen konnte, zusätzlich Wasser für alle Zisternen und alle Gefäße im Haus zu holen. Doch an diesem Tag entdeckten die Römer den Fluchtweg nicht, und auch nicht an den nächsten. Jeden Morgen stieg Jigal auf die Mauer, ängstlich bemüht, nicht auf die klaffende Wunde im Boden zu starren, und jeden Tag dankte er Gott, daß bisher noch kein Römer sie ausfindig gemacht hatte. Abermals sollte Josephus recht behalten haben: Alles wäre vielleicht verraten worden, wenn Rab Naaman sich zu lange mit dem Tilgen der Spuren aufgehalten hätte. Und auch das war von Josephus richtig vorausgesehen worden: Gerade weil das Loch in der Erde so auffällig war, hatten die Römer es nicht beachtet.
    Die letzten Tage der Belagerung kamen. Als Vespasian sicher war, daß die Juden kein Olivenöl mehr hatten, ließ er die Wandeltürme wieder an den Mauern Stellung beziehen. Gleichzeitig begannen seine riesigen Wurfmaschinen ununterbrochen die Befestigungen und die Stadt zu beschießen. Zahlreiche Juden fanden den Tod. Jetzt gab es kein Verhandeln zwischen Römern und Juden mehr, jetzt gab es nur noch unerbittlich harte Angriffe und die verzweifelte Abwehr der Verteidiger. Und mit jedem Tag rückte das unvermeidliche Ende näher. Nun, da Josephus und Rab Naaman die Stadt verlassen hatten, trug Jigal allein die Last der Verantwortung. Immer wieder kamen Mitbürger zu ihm, die den Mut verloren hatten, und rieten ihm, die Stadt zu übergeben. Er aber sagte: »Das Leben des Menschen ist vorgezeichnet, sobald er sich vertrauensvoll dem HErrn ergibt. Tot sind wir, seit wir unser Leben dargeboten haben, um zu verhindern, daß Petronius die Bildwerke des Caligula zu uns brachte. Was in den nächsten Wochen geschieht, ist nun schon ohne Bedeutung. Denn sind wir auch tot, so sind wir doch gestorben getreu unserem Bund mit dem Allmächtigen.« Er duldete von da an auch nicht das geringste Gerede von Übergabe; ein Mann, der damit nicht aufhören wollte, wurde auf Jigals Befehl festgesetzt. Mit ernster Würde, wie sie nur wenigen Menschen gegeben ist, war dieser sonst so unscheinbare Mann, dem nicht einmal ein Fußbreit Boden gehörte, die Seele des Widerstandswillens und diente seinen Mitbürgern als Befehlshaber und als Seelsorger zugleich.
    Jeden Abend betete er mit seiner großen Familie, jeden Abend betrachtete er seine vielen Enkel mit einer Liebe, deren er sich selbst nicht für fähig gehalten hatte. »Wir sind die Auserwählten Gottes«, sagte er. Und hätte ihn einer gefragt, warum er darauf bestand, Makor weiter zu verteidigen, so wäre seine Antwort die gewesen: »Weil kein Mensch zu fassen vermag, welche Aufgabe der HErr ihm zuweist. Doch welcher Art sie auch ist, er soll sie gewissenhaft erfüllen.« An dem Abend, an dem Jigal bewußt geworden war, daß am nächsten Tag Makor fallen müsse, versammelte er die Seinen zum letztenmal um sich und sprach mit ihnen darüber, was ein guter Jude zu tun habe. »Ihr, meine Kinder, werdet euer Leben vielleicht in fernem Land als Sklaven verbringen«, sagte er, ohne sich seine Erschütterung anmerken zu lassen. »Es mag dann schwer für euch sein, Juden zu bleiben. Aber wenn ihr nur zwei Dinge beherzigt, wird es euch leicht werden, die Treue zu halten: Es gibt nur Einen Gott. Es gibt keine Götter neben ihm. Er ist der Eine und einzige Gott. Und das zweite, das ihr nie vergessen dürft, ist dies: Der HErr hat Israel für besondere Pflichten und Verantwortlichkeiten erwählt. Erfüllt sie gut.« Er stockte, und seine Stimme brach. »Erfüllt sie gut.« Den Gebetsmantel umlegend, lehnte er sich zurück und fing mit leiser Stimme an, die zu Herzen gehenden Verse vom jüdischen Haushalt aufzusagen, das letzte Kapitel aus dem Buch der Sprüche Salomos, in dem der Ehemann sich des guten Zusammenlebens mit seiner Frau erinnert:
    »Ein Weib von Tucht, wer findets!
    Ihr Wert ist weit über Korallen.
    An ihr sichert sich das Herz ihres Gatten, und an Gewinn mangelts ihm nie.
    Sie fertigt Gutes ihm zu, nie Schlimmes, all ihre Lebenstage.
    Sie steht auf, wenn es noch Nacht ist, und gibt Futter her für ihr Haus, für ihre Mägde das Festgesetzte.
    Sie bekommt

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