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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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zu schmecken, wie gut ihr Handelswerk ist, in die Nacht hinein lischt nicht ihr Licht.
    Ihre Finger streckt sie nach dem Rocken, ihre Hände fassen die Spindel.
    Ihre Söhne stehen auf und preisen ihr Glück, ihr Gatte, und er rühmt sie:
    >Viele sind der Töchter, die sich tüchtig erzeigten, aber du übersteigst sie alle!<
    Der Reiz ist ein Trug, die Schönheit ein Hauch, -ein Weib, das IHN fürchtet, das werde gepriesen!«
    Er verbrachte einige Stunden bei seinen Kindern und redete mit ihnen über die fremden Länder, die nun für sie zu Ländern der Gefangenschaft und der Zerstreuung werden konnten. Danach hieß er die Erwachsenen der Familie um die Jungen einen Kreis bilden. Die Älteren faßten einander bei den Händen, als Jigal in ruhigem Ton sprach: »Wohin immer ihr in die Sklaverei geht, denkt an diesen Augenblick. Die Liebe des Allmächtigen umgibt euch. Ihr seid nie verlassen, denn ihr lebt im Ring der Liebe des HErrn.«
    Er legte die Enkel zu Bett und ging dann durch die Straßen der kleinen Stadt, tröstete alle, die noch wach waren, und ermahnte sie, den nächsten Tag würdig zu bestehen. Auf dem Forum, das jetzt durch die Geschosse der römischen Wurfmaschinen zerstört war, redete er mit den Hungernden, und von der Mauer konnte er im Mondlicht das Loch des Fluchtstollens sehen, das die Römer immer noch nicht entdeckt hatten. Im Gymnasion, dessen marmorne Front zerschlagen war, sprach er den Verwundeten Mut zu, und in der Synagoge, wo ein paar alte Juden beteten, verweilte er einige Zeit und beteiligte sich an einem Gespräch über das Gesetz des Allmächtigen, wie es in den Büchern Wajikra und Dewarim niedergelegt ist, im Dritten und Fünften Buch Mose. Und die Männer redeten miteinander, wie nur Juden miteinander über die Heilige Schrift reden können: als ob morgen ein Tag wie jeder andere sein werde.
    Dann begann es zu dämmern. Jigal befahl seinen Männern, ihre Stellungen zu beziehen. Die Römer gingen vor, knarrend rumpelten ihre Wandeltürme auf die Mauern los. Jigal aber, der unbedeutende Jude, ging wie ein großer Feldherr zu allen Stellungen und feuerte die Kämpfer an, wie er es bei Josephus gesehen hatte. Doch als der halbe Vormittag verstrichen war, begannen die Mauern einzustürzen. Und gegen Mittag standen die Legionen auf dem Forum. Am frühen Nachmittag gab Vespasian den Befehl, den er in späteren Jahren - als Kaiser, der die moralische Tragweite auch des kleinsten Befehls erkannt hatte - noch oft bereuen sollte: Er befahl, Jigal und seine Frau Beruria zu kreuzigen. Hohe Pfähle wurden an den Rand des Olivenhains gebracht, dorthin, wo der kleine Jude gearbeitet hatte. Mit ein paar Hammerschlägen befestigte man Querhölzer an den Pfählen. Acht lange Nägel lagen bereit. Jigal und sein Weib mußten sich auf die Kreuze niederlegen. Dann wurden ihre Hände und Füße auf das Holz genagelt und die Kreuze aufgerichtet. Doch ehe die beiden starben, waren sie gezwungen, noch ein entsetzliches Schauspiel anzusehen.
    Die neunhundert überlebenden Juden wurden unter den Kreuzen zusammengetrieben. Und während Jigal und Beruria in ihrer Todesqual hinabblickten, gingen die Römer prüfend von einem Gefangenen zum nächsten. Sobald ein Römer sagte: »Das da taugt zu nichts«, blitzte ein Schwert auf und traf einen alten Mann oder eine alte Frau. Auf diese Weise fanden vierhundert den Tod. Darauf wurden die übriggebliebenen jüngeren Männer ausgesucht, ob man sie für die Arbeiten an dem Kanal gebrauchen konnte, den Nero bei Korinth zu bauen befohlen hatte. Mit geübtem Blick sahen die Römer jeden Körperfehler: »Der da hat einen schlimmen Arm« - mit Schwertstreichen waren Arm und Kopf abgeschlagen. Nur ein paar gesunde, kräftige Juden überstanden die grausige Auswahl für die Zwangsarbeit auf der Landenge. Nun begannen die Sklavenhändler - die, wie jedem römischen Heer, so auch Vespasians Legionen folgten - ihr hartherziges Geschäft. Zuerst taxierten sie die Frauen. Wenige nur wurden für wert befunden, am Leben zu bleiben, mehr als dreihundert waren in ein paar Minuten erschlagen. Schließlich führte man die Kinder den Sklavenhändlern vor. Alle noch nicht Achtjährigen mußten als unnütz sterben, denn so kleine Kinder überlebten erfahrungsgemäß die Schreckenszeit in den Lagern nur selten. Ein älterer Junge mit einer Hasenscharte, ein hinkendes Mädchen - sie wurden sofort niedergemacht. Wer jedoch einen guten Preis einzubringen versprach, wurde in Eisenkäfige geworfen,

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