Die Quelle
fühlte er sich versucht, ihre Entfernung zu verlangen. Aber weiteres Überlegen brachte ihn dahin, daß die Säulen immerhin keine geschnitzten Bilder seien, wie die Thora sie verbot. »Wer hat sie denn ursprünglich gemacht?« fragte er, um Zeit für seinen Entschluß zu gewinnen, doch Jochanan vermochte keine Antwort zu geben. Wie auch sollte er sich vorstellen können, daß ein Bürger von Makor, Timon Myrmex, einst diese acht ausgesucht schönen Säulen aus den Tausenden gewählt hatte, die sich im Caesarea des Herodes anhäuften, um sein Forum damit zu schmücken. Jedenfalls erschienen sie Jochanan wunderschön, und seine ganze Hoffnung war es, daß Rabbi Ascher sich mit ihnen einverstanden zeigen möge. »Sie können stehenbleiben«, sagte der Grützenmacher kurzangebunden. »Aber tue dergleichen nicht wieder.«
Als Rabbi Ascher seine Zustimmung gegeben hatte, merkte er, daß Jochanan noch etwas auf dem Herzen hatte - etwas, worauf der Rabbi schon lange gewartet hatte. »Hier können wir nicht darüber reden«, sagte der Gottesmann deshalb mit einiger Besorgnis. »Hör auf zu arbeiten und komm mit zu mir.« Ascher trat in die Kammer, in der er seine Bücher aufbewahrte, und setzte sich, von den sichtbaren Beweisen des Gesetzes umgeben, in einen breiten Stuhl, legte die Hände auf den Tisch und sagte: »Was also willst du mir von deinem Sohn erzählen?«
»Wie kommst du darauf?«
»Wir werden noch oft über ihn zu sprechen haben.«
»Er ist jetzt neun. Und er wird älter.«
»Ich weiß.« Rabbi Ascher konnte sich den Knaben Menachem gut vorstellen, wie er auf der Straße spielte, ein von allen abgelehntes Kind, das doch ein stattlicher Jüngling zu werden versprach. Er seufzte beim Gedanken an das, was er nun wohl doch aussprechen mußte, schob aber zunächst das Urteil hinaus, indem er sagte: »Du willst also fragen, was du mit Menachem anfangen sollst?«
»Ja.«
»Das frage ich mich auch«, sagte der Rabbi. »Wieso?«
Rabbi Ascher lehnte sich ein wenig zurück, als wolle er sich hinter den Schriften des Gesetzes verschanzen. So fest verkrampfte er seine Hände, daß seine Fingerspitzen weiß wurden, und nun sagte er: »Jetzt kommen die schweren Jahre, die Jahre, da jene, die sich gegen das Gesetz vergangen haben, ihren Lohn ernten.«
»Was soll das heißen?« fragte Jochanan.
Nun, da der Rabbi die bitteren Worte seiner Strafpredigt hinter sich hatte, löste er die Verkrampfung der Hände und sagte freundlich: »Immer wieder habe ich mich gefragt, was wir beide mit Menachem anfangen können, und ich finde keine Lösung. Denn er ist ein Hurenkind«, sagte Rabbi Ascher leise, »und er wird nie heiraten dürfen.«
»Ich kaufe ihm eine Frau.«
»Aber keine jüdische Frau.«
»Und ich werde dafür sorgen, daß er Bürger der Stadt wird«, brüllte Jochanan und schlug mit den Fäusten auf den Tisch, daß die pergamentenen Rollen und Bücher zitterten. Aber der kleine Mann zuckte nicht einmal. Er hatte längst vorausgesehen, was Jochanan erst jetzt erkannte, und er wußte, daß mit Gewalt schon gar nichts zu erreichen war.
Denn im Fünften Buch Mose bestimmte das Gesetz des HErrn in klaren, harten Worten: »Es soll auch kein Hurenkind in die Gemeinde des HErrn kommen, auch nach dem zehnten Glied, sondern soll allewege nicht in die Gemeinde des HErrn kommen.«
»Nach dem zehnten Glied«, das hieß dasselbe wie »allewege«, nämlich bis in alle Ewigkeit, und in Erez Israel wurde dieses Gesetz mit aller Strenge befolgt: Wer aus verbotener Ehe stammte, blieb ausgestoßen, und mit ihm alle seine Nachkommen »bis ins zehnte Glied«. Das schwere Urteil »Hurenkind« traf allerdings nicht auf jedes uneheliche Kind zu: Hatte ein lediges Mädchen ein Kind von einem unverheirateten Vater, galt das Kind nicht als »Hurenkind«, denn das Mädchen konnte einen Mann heiraten, und dadurch wurde ihr Kind ehelich. Auch in den nicht seltenen Fällen, in denen jüdische Frauen nach Vergewaltigung durch fremde Krieger Kinder bekommen hatten, fand das Gesetz keine Anwendung; solche Kinder galten als von der Mutter her jüdisch. Aber wenn ein Mann wie Jochanan in vollem Bewußtsein seines Tuns Umgang mit einer verheirateten Frau pflegte, so bedeutete das eine Gefährdung für alle jüdischen Familien, und das aus dem verbotenen Umgang hervorgegangene Kind mußte als Hurenkind gebrandmarkt und für immer und ewig aus der Gemeinde ausgeschlossen bleiben.
Mit Tränen des Mitleids in den Augen legte Rabbi Ascher dem Steinmetz
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