Die Quelle
der Allmächtige hatte Seine einfache Anordnung wiederholt ausgesprochen, und jetzt fiel es den Rabbinen zu, sie zu deuten.
Drei Worte des scheinbar so einfachen und doch so vieldeutigen Satzes galt es zunächst klarzustellen: Kochen sollte wahrscheinlich alle Arten von Zubereitungen einschließen, Böcklein alle Arten von Fleisch, und Milch sämtliche Milcherzeugnisse. Wenn dem so war, dann, so folgerten die Gesetzeslehrer, mußte scharfsinnig genau festgelegt werden, wie das Gebot des Allmächtigen auch in der Küche bis ins kleinste befolgt werden konnte. So entstanden zu den alten Speisegesetzen neue: Milch und Fleisch mußten stets getrennt aufbewahrt werden, denn die kleinste Spur vom einen konnte das andere verunreinigen; schon ein unvorsichtig in einen zum Fleischkochen verwendeten Topf verspritzter Tropfen Milch hatte zur Folge, daß der Topf zerschlagen werden mußte, damit auch in Zukunft nicht jemand ahnungslos ein Gebot übertreten konnte. Was die Rabbinen so an Geboten und Verboten festlegten, wirkte sich anfangs nicht sonderlich einschneidend aus. Aber jede jüdische Küche wurde damit zum Sinnbild für den mit dem HErrn geschlossenen Bund. Töpfe getrennt aufbewahren - nun, das war nichts Außergewöhnliches, und die jüdischen Frauen gewannen Freude daran, nach dem Gesetz zu kochen, das der HErr dem Mose zugeflüstert hatte und das seitdem von einer Generation heiliger Männer an die nächste weitergegeben worden war. Dann aber brachte Rabbi Ascher den Gedanken vor, daß bereits der Kochdunst eines Topfes voller Rindfleisch eine ganze Küche verunreinigen könne, in der Milch verwendet wurde - und keine Hausfrau vermochte etwas dagegen vorzubringen. Als in Babylonien andere Rabbinen auf Spitzfindigkeiten kamen, die zu befolgen noch schwieriger war, vermochte auch gegen sie niemand etwas vorzubringen. Denn was die Rabbinen teils bewußt, teils unbewußt schufen, war ein Gesetzeskodex, der alle Juden in der Zerstreuung fest miteinander verband. Wenn die Juden keine Heimat hatten, in der sie leben konnten, so sollten sie statt dessen in ihrem Gesetz leben - und so, als im Glauben und im Gesetz geeint, sich in der Geschichte besser behaupten als jene Völker, die sie unterdrückt und vertrieben hatten. Wohin die Juden sich auch wandten - nach Spanien oder Ägypten oder Argentinien -, sie nahmen mit sich, was die Rabbinen von Twerija und die von Babylonien beschlossen hatten, und diese Beschlüsse wurden ihnen zum Unterpfand des Überdauerns, ließen sie all die
Völker überleben, die zweitausend Jahre lang in Israel ihre Nachbarn gewesen waren. Das Land Israel hatten die Juden als ihre Heimat verloren, und so entstand die Sage vom heimatlos wandernden Ewigen Juden, eine Sage, die eigentlich sinnlos war, denn wohin immer ein Jude wandern mochte - er war, sofern er den Talmud mit sich führte, in der Heimat. So wichtig die Beratungen über das Kochen für die Zukunft sein mochten - noch weitaus wichtiger waren die Überlegungen über den Gottesdienst, und sie bieten zugleich ein besonders gutes Beispiel für das scharfsinnige Vorgehen bei der Festlegung der Vorschriften des Talmud. Selbstverständlich waren sich alle Juden darin einig, daß der Gottesdienst nicht nach jedermanns Belieben vor sich gehen könne; doch wie das richtige Ritual beschaffen sein müsse, das war schwer zu bestimmen, denn darüber schwieg sich die geschriebene Thora aus. Sie sprach ja von einer Zeit, da der Gottesdienst im Tempel zu Jerusalem stattfand; und die mündlich überlieferte Lehre war ebenfalls unzureichend, denn auch in ihr war die Zeit nicht vorausgesehen, da Jerusalem nicht mehr bestand. Und selbst als die Römer endlich erlaubten, die Stadt wieder aufzubauen, wurde doch die Wiedererrichtung des Tempels nicht gestattet. Deshalb mußten die Rabbinen Vorschriften schaffen für einen Gottesdienst, dessen äußere Formen sich entscheidend geändert hatten.
Der Rabbi der Stadt Kefar Nachum (den Christen bekannt unter dem Namen Kapernaum), die eine der größten Synagogen Galilaeas besaß, erinnerte daran, daß es im Zweiundachtzigsten Psalm klar heiße: »Gott steht in der Gemeinde Gottes.« Daraus ließ sich folgern, daß der Allmächtige bereit sei, sich mit Seinen Gläubigen in einer Gemeinde zu vereinen. Wie viele Gläubige aber waren erforderlich zur Bildung einer Gemeinde? Niemand wußte es zu sagen. Waren es drei? Oder sieben? Oder zwölf? Jede dieser
Zahlen besaß sinnbildlich-mystischen Wert, und es war
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