Die Quelle
ein aufgeweckter Junge, ein paar Süßigkeiten, die er bei einem griechischen Händler gekauft hatte.
»Jochanan«, sagte der Rabbi, »du darfst Makor nicht verlassen. Die Stadt ist dir zur Heimat geworden, und wir schätzen dich. Die Leute haben dich gern.«
»Ich dachte. hm, mit dem Schiff, nach Antiochia. oder vielleicht nach Zypern.«
»Du darfst nicht davongehen, Jochanan. Hier ist deine Heimat. dein Gesetz.«
»Das Gesetz erkenne ich nicht an.«
»Kannst du ihm denn in Antiochia entrinnen?«
»Ich werde aufhören, Jude zu sein«, sagte jetzt drohend der Steinmetz. Rabbi Ascher tat, als habe er diese unverantwortliche Äußerung überhaupt nicht gehört: »Du und ich, wir werden immer in Galilaea bleiben. Das Gesetz und das Land verpflichten uns dazu.«
Dieses Wort griff Jochanan mächtig ans Herz. Und so waren seine Gedanken schon wieder bei der Synagoge. »Als ich in Antiochia arbeitete, haben wir Muster aus kleinen Stücken farbiger Steine gemacht. Sollten wir nicht auch hier.?«
»Muster?« fragte Rabbi Ascher mißtrauisch. »Keine geschnitzten Bilder. Berge und Vögel, wie an der Wand.«
»Aus kleinen Steinen?«
»Wir könnten solche Muster auf dem Fußboden machen«, schlug der Steinmetz vor. Aber Rabbi Ascher vermochte sich darunter nichts vorzustellen. Deshalb nahm Jochanan einen Stock und zeichnete die Umrisse eines Baumes auf den Boden. »Wir machen es mit Steinstückchen«, erklärte er.
Wie schon vorher, war Rabbi Ascher auch jetzt besorgt, es könne sich um unnötigen Zierat handeln. Weil er aber gerade so streng über das Gesetz gesprochen hatte und sich zugleich so sehr wünschte, daß der Steinmetz in Makor blieb, gab er wider bessere Einsicht seine Zustimmung für die Arbeit am Fußboden. »Aber keine Bilder«, mahnte er.
So blieb Jochanan abermals in Makor, nur für seine Arbeit lebend, auf der Suche nach einer Schönheit, die er wohl zu formen wußte, wenn auch sein Verstand sie nicht begriff. Inzwischen litt Menachem, nun elf Jahre alt, ein Knabe, dem man es ansah, daß er einmal so groß wurde wie sein Vater, immer mehr unter dem Zustand des Ausgestoßenseins. Deshalb nahm Jochanan ihn auf seinen Wanderungen durch Galilaea mit, auf die Suche nach rotem und blauem und purpurfarbenem Kalkstein. Vater und Sohn waren ein wunderliches Paar, ein grobschlächtiger Riese von einem Mann und ein bildschöner Junge. So zogen sie ins entlegene Gebirge, schlugen ihr Lager dort auf, wo die Bergbäche tiefe Schluchten aus den übereinander lagernden Schichten bunten Gesteins geschnitten hatten, und erlebten das überwältigende Wunder der zeitlosen Schönheit Galilaeas. Wenn sie Sümpfe durchwateten, sahen sie die Reiher, wie sie auf einem Bein standen, und die Möwen, die vom Meer her ins Land gekommen waren, und Menachem suchte Rohrkolben, die ihm so gut gefielen; sein Vater saß derweilen stumm da und spähte nach Schakalen und Füchsen aus.
Ein Jahr war mit Suchen vergangen. Jetzt zog Jochanan mit seinen Arbeitern an die Stellen, die er gefunden hatte, und ließ hier flache Platten des farbigen Gesteins zum Transport nach Makor stapeln. In den Steinbrüchen sahen der Vater und sein Sohn (zwölf Jahre war Menachem nun alt, schlank und rank) ins Herzinnere des Landes - dort, wo man den Boden fortgeschaufelt und das Wurzelwerk mächtiger Bäume beiseite geräumt hatte, um dem Verlauf der farbigen Gesteinsschichten folgen zu können. Und hinter dem Staub der gebrochenen Steine sahen sie die Schönheit der Täler aufleuchten, sahen den Wasserfall, der vom Kamm eines Berges herabfiel, und all diese Pracht weckte in Jochanan den Wunsch, in dem Fußboden aus bunten Steinen die Seele seiner Heimat Galilaea lebendig werden zu lassen. Schon formte sich in ihm das Bild: Ölbäume und Vögel mußten dabei sein, denn sie gehörten für ihn zum Bilde Galilaeas.
In diesem Jahr 338 war es, daß Menachem, der zwölfjährige Sohn des Steinmetzen, zum erstenmal auf Jael aufmerksam wurde, die achtjährige Tochter des Grützenmachers. Das kam so: Die Frau des Rabbi bekam von einem griechischen Kaufmann aus Ptolemais einen Sonderauftrag auf vier Säcke Grütze, und da sie niemanden fand, der ihr half, bat sie Menachem darum, die Körner zu trocknen und dann zwischen den Steinen zu schroten. Dem Jungen sagte die Arbeit zu, und als sich sein Vater wieder einmal zu einer Wanderung ins Gebirge aufmachte, um nach einem seltenen purpurfarbenen Gestein zu suchen, blieb er bei der Gerstenmühle. Und hier sah er eines
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