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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Morgens, als er beim Drehen des Steines aufschaute, die Tochter des Rabbi, die ihm zulächelte - ein hübsches Mädchen mit blonden Zöpfen, blauen Augen und der ganzen lebhaften Art ihres Vaters. Auch war ihr die Feindseligkeit, mit der die älteren Kinder Menachem behandelten, noch fremd.
    »Bist du der, dem sie immer Steine nachwerfen?« fragte sie in aller Unschuld, während sie ihm bei der Arbeit zusah. »Ja.«
    »Wie heißt du?«
    »Menachem. Mein Vater baut die Synagoge.«
    »Der große Mann?« fragte sie und stampfte herum, um Jochanans bärenhaften Gang nachzuahmen.
    »Mein Vater wäre sehr böse, wenn er sehen müßte, wie du ihn verspottest«, sagte Menachem mit der ganzen Empfindlichkeit, die man ihm in Makor beigebracht hatte.
    Aber die Kleine blieb bei ihm, schwatzte mit ihm und beobachtete neugierig seine Bewegungen, als er die Grütze für die vier Säcke mahlte. »Vater dreht aber den Stein anders herum«, erklärte sie altklug, und »Vater hält die Säcke mit den Knien fest.« Als die vier Säcke schließlich für den griechischen Händler bereitstanden, hockte sie sich obendrauf und wies Menachem an, wie er die Mühle aufräumen müsse.
    Was Menachem bei dieser rein vom Zufall gebrachten Arbeit geleistet hatte, gefiel der Frau des Rabbi so gut, daß sie ihn in der Mühle behielt. Schon bald konnte sie einen Mann, der sich als faul und unfügsam erwiesen hatte, entlassen, weil Menachem es besser machte. Mehr noch: Der Junge ging mit solcher Vernunft und solcher Tatkraft zu Werk, daß die Mühle fast ebenso viel Grütze lieferte wie unter Rabbi Aschers Leitung. Das aber hatte zur Folge, daß Menachem sich dann und wann Gedanken über seine Zukunft machte: Eines Tages konnte er Vorarbeiter an der Mühle sein, und dann mußte auch die Verachtung ein Ende haben, die ihn die Knaben auf der Straße spüren ließen. In solchen hoffnungsvollen Überlegungen wurde er durch Jaels tägliche Gegenwart bestärkt. Sie sah ihm bei der Arbeit zu, und wenn er zu den Ölbäumen ging, heftete sie sich an seine Fersen, ein hübsches kleines Mädchen, das unüberlegt daherplapperte. »Meine Schwester sagt, ich soll nicht mit dir spielen, weil du ein Hurenkind bist.« Menachem wurde nicht einmal rot. Die Jungen von Makor hatten es längst in ihn hineingeprügelt, dieses gräßliche Wort widerspruchslos hinzunehmen. »Sag deiner Mutter, du spielst nicht mit mir. Du hilfst mir beim Grützemachen.«
    »Bei der Mühle ist es Arbeit«, sagte Jael. »Aber bei den Ölbäumen spielen wir.« Oft nahm sie ihn bei der Hand, wenn sie nebeneinander unter den silbergrünen freundlichen Bäumen gingen. Einige waren so vom Alter zerfressen, daß es aussah, als könne schon der nächste Sturm sie umreißen, viele andere aber so jung wie Jael selbst. »Ich spiele gern mit dir«, sagte sie eines Tages, »aber was ist das, ein Hurenkind?«
    Mit seinen zwölf Jahren war Menachem sich über die wahre Bedeutung des Wortes selbst nicht im klaren; er wußte nur, daß es ein Ausdruck für die schlimme Lage war, in der er sich befand. Mit dreizehn jedoch - für jüdische Knaben das entscheidende Alter - sollte er in vollem Ausmaß erfahren, welch Makel ihm anhaftete. Denn nun war das Jahr gekommen, in dem der jüdische Knabe ein »Bar Mizwa« wird, ein »Sohn des Gebotes« - in neuen Kleidern hätte er die Synagoge betreten und wäre aufgerufen worden, den erhöhten Platz zu besteigen, von dem aus am Sabbatmorgen aus der Thora gelesen wird, hätte vor der heiligen Rolle gestanden und zum erstenmal vor der Gemeinde eine Stelle aus dem Gotteswort vorlesen dürfen. In diesem Augenblick und im Beisein der Männer von Makor hätte er aufgehört, ein Kind zu sein, und mit Zuversicht sprechen können: »Von heute ab bin ich ein Mann. Was ich von diesem Tag an tue, untersteht meiner Verantwortung und nicht der meines Vaters.«

Doch als für Menachem die Zeit gekommen war, den Schritt von der Kindheit ins Mannesalter zu tun und aufgenommen zu werden in die Gemeinde der Kinder Israel, mußte der von Twerija zurückgekehrte Rabbi Ascher, der Gottesmann, dem Knaben sagen: »Du darfst nicht Aufnahme finden in der Gemeinde des HErrn, weder du jetzt noch deine Nachkommen bis ins zehnte Glied.« Jochanan wütete. Er werde seinen Sohn nach Rom bringen, erklärte er zornig, und mit seiner Arbeit am Mosaikfußboden sei es Schluß. Immer neue Drohungen brachte er lärmend vor, und sein von der Gemeinde ausgestoßener Sohn stand daneben, hochgewachsen und schlank,

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