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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Hier gab es nichts Einigendes, keine klare Gliederung und keine sichtbare Schönheit. Und es fehlten die Frauenstimmen. Der Synagogendiener schlurfte auf und ab, der alte Rebbe betete für sich allein, und jeder Mann war seine eigene Synagoge. Er sah nach den beiden Männern in der Ecke: Sie sprachen nach wie vor über Geschäfte. Mochte dieser jüdische Gottesdienst für Paul Zodman noch so viel bedeuten - niemals konnte er sich mit der geordneten Schönheit des Katholizismus messen.
    Als Cullinane so vor sich hinsann, erlebte er etwas ganz Neues, Erhabenes, Unvergeßliches. Später, als er sich in Makor Schicht um Schicht durch die jüdische Geschichte arbeitete, sollte ihn die Erinnerung an diese Stunde ganz unverhofft überkommen und er alles viel besser verstehen. Ganz einfach fing es an. Der Diener schlurfte zu dem Alten, der neben Zodman saß, und deutete an, er solle seine Schuhe ausziehen. Der alte Jude gehorchte. Geräuschvoll ging der Diener zu einem kleinen Schrank unter dem Thoraschrein. Während die anderen beteten, klirrte er mit einem Schlüsselbund. Schließlich fand er den richtigen Schlüssel und öffnete die Schranktüren, hinter denen ein Kupferkessel hing. Diesen überreichte er dem Mann, der damit zu einem Wasserhahn draußen vor der Tür ging, während der Diener einen kleinen Teppich auf dem Boden ausbreitete. Drei weitere Männer zogen ihre Schuhe aus. Der erste kehrte mit Wasser zurück; jetzt wuschen die vier sich die Hände. Vier weiße Gebetsmäntel wurden gebracht; die vier Männer zogen sie sich über den Kopf - nicht um die Schultern, sondern über ihre Köpfe - und stellten sich auf den Teppich, wo sie schweigend, der Wand zugekehrt, beteten.
    Nun begann der Wodscher Rebbe in singendem Tonfall ein anderes Gebet. Nur kurze Sätze waren es. Die vier verhüllten Juden wandten sich der Gemeinde zu. Sie beugten sich aus der Hüfte vor und breiteten ihre Arme aus, so daß der Mantel wie eine Art Zelt das Gesicht verbarg. In dieser seltsamen Stellung ließen sie eine Reihe von Schreien hören, unverständlich, aber das Herz anrührend. Cullinane starrte auf die geisterhaften Gestalten - diese Juden mit den verdeckten Köpfen, verloren in ihren Tüchern. Er hätte gern gewußt, welche Bedeutung dieses Gebaren hatte. Urtümlich war es, voller Leidenschaft -wie eine Botschaft aus den Anfängen der Menschheit. Schließlich wurden die Mäntel zurückgeschlagen. Die Stimmen schwiegen. Das Ritual, oder wie man es nennen mochte, war beendet. Und nun begannen wieder siebzehn Männer zu murmeln und zu ächzen - jeder für sich bis zum Schluß ihres siebzehnfach verschiedenen Gottesdienstes. Der Rebbe flüsterte ein Gebet. Die Andacht war beendet. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Cullinane, den der letzte Teil des Gottesdienstes tief bewegt hatte.
    »Die Sache mit den Mänteln?« fragte Eliav. »Alle Juden sind eingeteilt in Kohanim, Leviten und Volk. Kohanim sind Priester, Leviten sind die im Heiligtum Diensttuenden, und Volk sind die übrigen. Bei allen Sabbatgebeten erheben sich die anwesenden Kohanim - sie brauchen nicht unbedingt Kohn oder Kohen zu heißen, wenn auch viele den Namen tragen -, legen ihre Mäntel über und segnen die Gemeinde.«
    »Zodman sieht aus, als sei es ihm sehr nahegegangen.«
    »Sie auch«, sagte Eliav.
    Zodman verließ die Synagoge in gehobener Stimmung. Er war erleichtert zu wissen, daß es in Israel wenigstens einige Menschen gab, die den jüdischen Ritus aufrechterhielten. Als die Männer zu den Jeeps zurückkehrten, bei denen Vered gewartet hatte, verblüffte er alle, indem er feierlich erklärte: »Ich halte es nicht für richtig, am Sabbat Auto zu fahren.«
    »Ist er jemals in Chicago auf eine solche Idee gekommen?« flüsterte Vered. »Nein. Da sieht er sich die CollegeFootballspiele an. Und fährt jeden Sonnabend nach außerhalb.«
    »Ich glaube«, sagte Zodman ernst, »wenn Israel genug fromme Männer wie diesen Wodscher Rebbe hat, ist es in guten Händen.«
    »Genug Männer wie der Rebbe«, flüsterte Vered, »und dieses Land ist verloren.«
    Da die Autos nicht benutzt werden sollten, wanderte Cullinane mit seiner Schar zu einem Hotel, in dessen Hof alte Olivenbäume standen. Dort wurde ein kaltes Mittagessen eingenommen, da nirgends in Zefat am Sabbat ein Feuer brannte. Die Archäologen plauderten mit ihrem Geldgeber über ihre Arbeit in Makor. »Wollen wir nicht auf den Berg steigen«, schlug dann Cullinane vor. »Ich kann Ihnen dort oben etwas

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