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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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gebrannt worden waren, manchmal auch an der Beschaffenheit des Tons. Sie wußte auch, ob sie mit der Hand glattgestrichen waren oder mit einem Grasbüschel und ob man die Verzierung mit einem Kamm eingedrückt hatte. Jeden Morgen sah man ihre kecke, flottgekleidete kleine Gestalt in den Graben steigen. Den Rest des Tages verbrachte sie über ihren Arbeitstisch gebeugt. Was Frau Bar-El an ihren Scherben feststellte, fanden Tabari und Cullinane bestätigt, wenn sie die dünnen Schichten Schutt untersuchten, in denen die Scherben gelegen hatten. Der Tell war eine fast zweiundzwanzig Meter hohe Aufhäufung aus elftausend Jahren - das bedeutete weniger als zwanzig Zentimeter pro Jahrhundert. Spätere Schichten allerdings, wie die der Ritterburg, waren erheblich dicker, so daß aus der vorchristlichen Zeit ganze Jahrhunderte oft nur durch eine Lage von einem halben Zentimeter angedeutet waren. Diese dünne Schicht konnte jedoch Aufzeichnungen enthalten, die so leicht zu entziffern waren wie Nachrichten der Morgenzeitung. Es war kaum zu glauben: Eine dünne Brandschicht, die sich ebenmäßig von Schnitt A zu Schnitt B zog, lieferte den Beweis dafür, daß die Stadt einmal niedergebrannt war, entweder von Feinden oder aus Nachlässigkeit. Wenn guterhaltene verkohlte Überreste gefunden wurden, etwa das versengte Gehörn eines Rehs oder eine Seemuschel, die in uralten Zeiten ein Händler von Akko nach Makor gebracht hatte, schickte man sie mit Luftpost nach Chicago oder Stockholm. In den Laboratorien dort wurden die Stücke auf ihren Gehalt an Kohlenstoff analysiert. Ein Telegramm aus Stockholm oder Chicago brachte dann die Antwort auf die Frage, wann der Brand stattgefunden hatte.
    So hatte Tabari in Schicht XIII nicht nur zwei Scherben gefunden, sondern auch, und zwar nur wenig von ihnen entfernt, ein guterhaltenes verkohltes Stück Widderhorn. Es mußte aus der Zeit stammen, in der Makor von der großen Feuersbrunst heimgesucht wurde. Cullinane befragte Vered Bar-El um ihre Meinung, machte eine Skizze und schrieb die von ihm geschätzte Datierung dazu. Gleichzeitig sandte er mit
    Luftpost Kohleproben an die Laboratorien in Amerika und Schweden.

    Warum aber gerade Kohlenstoff? Seit es auf dieser Erde Leben gibt, enthalten alle Organismen zwei verschiedene Formen des Kohlenstoffs. Der Kohlenstoff mit dem Atomgewicht 12 (C 12) ist allbekannt, als Ruß, als Graphit und
    - als Diamant. Dieser Kohlenstoff 12 ist ein wesentlicher Bestand aller organischen Substanzen; die Pflanzen gewinnen ihn aus der Kohlensäure der Luft im Vorgang der Photosynthese, die Tiere bekommen ihn, indem sie Pflanzen (oder andere Tiere) fressen. Außerdem gibt es aber noch einen Kohlenstoff mit dem Atomgewicht 14 (C 14), der im Gegensatz zum stabilen C 12 radioaktiv zerstrahlt. Er entsteht in der höheren Atmosphäre der Erde und vermischt sich schließlich in den tieferen Luftschichten mit C 12 in dem unvorstellbaren Verhältnis von einem Teil C 14 auf dreizehn Billionen Teile C 12. Aber selbst diese allerwinzigste Spur des schweren Kohlenstoffs ist in allem, was lebt oder jemals gelebt
    hat, feststellbar. Und solange Pflanzen, Tiere oder Menschen leben, nehmen sie C 14 auf, nach dem Tode jedoch nicht mehr.
    Kohlenstoff 14 wäre für den Archäologen an sich ohne Bedeutung, wenn er nicht eine Eigenschaft besäße, die ihn allerdings unschätzbar macht: Er zerstrahlt, und zwar zerfällt in jeweils rund 5500 Jahren genau die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Menge. Wenn also zum Beispiel das von Dschemail Tabari aus der Brandschicht von Makor geborgene verkohlte Widderhorn nur noch den halben Gehalt an C 14 enthielt, so bedeutete dies, daß der Widder vor etwa 5500 Jahren (mit einer Fehlergrenze von plus oder minus 350 Jahren) verendet oder geschlachtet worden sein mußte, also um 3535 v. Chr. - genauer zwischen 3205 und 3865 v. Chr.
    Im Laboratorium bestimmt man den Gehalt an C 14 an Hand einer Probe gewöhnlichen, aus C 12 und C 14 gemischten Kohlenstoffs, wobei man den Zerfall des C 14 pro Minute und Gramm mißt. Proben von heute lebenden Organismen zeigen 15,3 solcher Zerfallserscheinungen in der Minute; Lebewesen, die um das Jahr 3535 v. Chr. gestorben sind, ergeben nur die Hälfte davon, 7,65; solche, deren Tod etwa 9035 v. Chr. eingetreten ist, weisen 3,83 Zerfallserscheinungen pro Minute auf. Leider haben die Proben organischer Substanz, die älter als 50000 Jahre sind, nur noch einen so geringen Gehalt an C 14, daß die Instrumente den

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