Die Quelle
neue Heimat und nicht in Amerika? Wo und wie hatte das amerikanische Wunschbild versagt? Und er begriff, daß Israel recht hatte; es nahm Menschen auf - alle Menschen -, wie Amerika es einst getan hatte; und in fünfzig Jahren würden die neuen Ideen wahrscheinlich aus Israel kommen und nicht mehr aus einem müde gewordenen Amerika.
Trotzdem war er bestürzt zu sehen, daß genau die Hälfte der vierundzwanzig Leute, die man ihm zugesagt hatte, aus Jussuf Ohana aus Marokko und seiner Familie bestand. Jussuf sah aus wie siebzig, hatte aber drei Frauen, eine etwa so alt wie er, eine von vierzig und eine von zwanzig Jahren. Die jüngste war schwanger, und die anderen hatten zusammen acht Kinder. Jussuf, ein großer, hagerer Mann in schmutzigem Gewand und mit einem Turban, brauchte sich nur zu bewegen, und es war, als gehe ein Sandsturm von jeder Bewegung aus, denn alle duckten sich vor ihm. Jude aus einer kleinen Stadt am Atlasgebirge, lebte er noch heute wie in den patriarchalischen Zeiten des Alten Testaments: Sein Wort war Gesetz. Tabari begrüßte ihn mit einem Kauderwelsch aus Französisch und Arabisch: Jussuf und seine Familie sollten für Dr. Cullinane arbeiten, bis der Kibbuz eine bleibende Behausung und Arbeit für sie gefunden hätte. Jussuf nickte und sagte - wobei er mit einer großartigen Gebärde seiner Hände alle Angehörigen seiner Sippe umschloß -, er werde für gutes Arbeiten sorgen. Aber Cullinane erkannte, daß er und seine erste Frau fast blind waren. Was können die noch leisten, dachte er.
Die anderen zwölf Neuen waren aus den verschiedensten Ländern gekommen. Als sie alle in dem Sonderbus nach Makor untergebracht waren, erschien ein Vertreter der Jewish Agency und verteilte Pakete mit Nahrungsmitteln, Dokumente über die israelische Staatsbürgerschaft, Bescheinigungen über Arbeitslosenversicherung auf ein Jahr, Wohnungsgeld, Krankenversicherung, außerdem Cellophantüten mit Süßigkeiten für die Kinder. Auf Arabisch rief er: »Sie sind jetzt israelische Staatsbürger, Sie können frei wählen und Kritik an der Regierung üben.« Dann verbeugte er sich an der Tür und ging.
Cullinane saß die Nacht noch lange auf. Eliav sagte: »Wir nehmen alle Juden, aus allen Teilen der Welt, wie sie sind.«
»Wir haben es auch getan«, erwiderte Cullinane, »und wir haben eine große Nation aufgebaut.«
»Natürlich gibt es Leute, die sich über die alten Leute beschweren, wie Jussuf und seine erste Frau es sind oder die drei aus Bulgarien. Sie sagen, daß solche Menschen nichts mehr leisten. Ich dagegen habe stets die Ansicht vertreten.«
»Eliav hat entscheidend dazu beigetragen, daß sich diese Auffassung durchgesetzt hat«, warf Vered stolz ein.
»Ich betrachte die Frage der Leistung von einem völlig anderen Standpunkt aus«, sagte Eliav langsam und polierte seine Pfeife mit den Handflächen. »Ich behaupte, man benötigt für eine Stadt viertausend Menschen. Diese viertausend muß man haben, wenn alles funktionieren soll. Aber es müssen nicht durchweg Menschen in den besten Jahren und mit voller Arbeitskraft sein. Natürlich braucht man auch Kinder, um die Stadt für die Zukunft zu erhalten. Und einige dürfen getrost alte Leute sein, Alte, die klugen Rat wissen, wenn Not am Mann ist, oder die sich um die Kinder kümmern, oder die einfach als Menschen da sind.« Er sah Cullinane scharf an und fuhr fort: »Um wieviel besser stünde es heute abend um die Welt, wenn das Schiff in New York angekommen wäre. Symphonien und Kathedralen werden nicht von den Nachkommen der gehobenen Mittelklasse geschaffen, sondern von solchen, die wir heute abend gesehen haben. Ihr braucht diese Leute sehr nötig, Cullinane, aber wir können sie nicht entbehren, und ihr habt zu große Angst, sie aufzunehmen.«
Die nächsten Tage gingen in die Historie der Ausgrabung ein, aber auf wahrhaft fürchterliche Weise. Jussuf und seine zwölfköpfige Familie waren nicht nur Analphabeten, sie waren nahezu asozial, wenn man es so ausdrücken will: Niemals hatten sie ein geordnetes Leben kennengelernt, niemals Aborte, öffentliche Duschräume oder einen ordentlichen Speisesaal gesehen. Und mit den Pickeln und Spezialgeräten der Archäologen waren sie schon gar nicht vertraut. Im Kibbuz und bei der Grabungsstelle wäre alles drunter und drüber gegangen, hätte sich nicht Dschemail Tabari der Neuankömmlinge angenommen. Er schob sechs Tonscherben unter den Schutt und zeigte Jussuf, wie man sie ausgraben mußte. Das freilich
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