Die Quelle
das, was an unserer Religion veraltet ist, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Ihr Israelis aber macht alles nur noch altertümlicher. Das muß doch einen Grund haben?«
»Du denkst an die alten Juden des Rebbe von Wodsch. Denk einmal an die jungen Juden im Kibbuz! Die machen die veralteten Zeremonien nicht mit. Trotzdem kennen sie die Bibel besser als jeder Katholik aus deiner Bekanntschaft. Sie lesen sie nicht des religiösen Inhalts wegen, sondern um sich in die Grundlagen des Judentums zu versenken. Ich meine, John, daß wir die Antwort bei unseren jungen Menschen finden... nicht bei den alten Rabbinen.«
»Ich wünschte, ich wäre so sicher wie du«, sagte er.
Nicht sehr viel später erhielt Cullinane ganz unerwartet tieferen Einblick in das Leben des Kibbuz - und dabei stieß er auf Dinge und entdeckte Gründe, die für Vereds Überzeugung sprachen, daß die Rettung Israels wahrscheinlich auf dem Idealismus und der Opferbereitschaft der Menschen im Kibbuz beruhe. An einem Freitagabend war er nach der Teilnahme am Abendgottesdienst in der Synagoge von Akko zu seiner Ausgrabung zurückgekehrt. Als er an seinem Tisch im Speiseraum saß, sah er einen Mann aus der Küche kommen. Er erkannte ihn am Gesicht, einem festen vitalen Gesicht eines Mannes um Mitte vierzig. Sein stahlgraues Haar war nach deutscher Art kurz geschnitten. Der linke Arm fehlte ihm. Den Hemdärmel hatte er mit einer Nadel hochgesteckt. Er war General Teddy Reich, einer der Helden aus Israels Freiheitskrieg und jetzt Minister. Zwei Jahre lang war er Botschafter von Israel in den Vereinigten Staaten gewesen; als ebenso geistreicher wie erfolgreicher Diplomat war er dort bekannt geworden. Dieser Teddy Reich war mehr als Soldat, Diplomat und Staatsmann. Er war auch Mitglied des Kibbuz in Makor. Hier schöpfte er seine Kraft. Er hatte mitgewirkt, als diese Gemeinschaftssiedlung errichtet wurde, er hatte den Wirtschaftsplan und die Regeln für das Leben im Kibbuz aufgestellt. Außer seinem Anteil an diesem Kibbuz hatte er nicht den geringsten Besitz. Immer wieder kam er von Jerusalem herüber, um am Freitagabend an den Besprechungen über Politik teilzunehmen. Regelmäßig arbeitete er dann auch in der Küche - er, der Mann mit dem einen Arm, um den Jüngeren die Wahrheit dessen zu zeigen, was ihn die Zeit gelehrt hatte, in der die Juden keine Heimat besaßen: daß Arbeit, produktive Arbeit, die Rettung für den Menschen bedeutet, und besonders für den Juden.
Teddy Reich brachte eine Schüssel Fleisch zum Tisch der Archäologen und sagte dabei zu Eliav: »Kann ich dich in der Küche sprechen?« Cullinane sah Vered dem hinausgehenden Eliav nachblicken wie die Henne einem fortlaufenden Küken. Als sie jedoch Cullinane ertappte, wie er sie anschaute, lachte sie nervös: »Man sagt, Teddy Reich baut Eliav eine wichtige Position auf!«
»In der Regierung?« fragte der Ire.
»Ben-Gurion hält ihn für einen unserer glänzendsten jungen Männer«, sagte sie. Cullinane dachte: Sie spricht von ihm, als sei er der Nachbarsjunge, der sonst weiter nichts mit ihr zu tun hat.
In der Küche unterhielten sich Eliav und Reich einige Stunden lang über Politik, während der General Geschirr spülte. Als die Kibbuzbesprechung begann, ging Reich zum Gebäude der Ausgrabungsleitung, um Cullinane aufzusuchen. »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« fragte der einarmige Minister. Cullinane bejahte freudig. Darauf sagte Reich: »Haben Sie etwas dagegen, mit mir zum Kibbuz zu gehen? Ich möchte Sie mit jemandem bekannt machen.« Der sommerliche Mond stand am Himmel, als Cullinane zum erstenmal als Gast zum Kibbuz ging, wo er sonst nur ganz unpersönlich seine Mahlzeiten einnahm.
Er sah die Gebäude, die Männer wie Reich in die Wüste gestellt hatten, die kleinen Heimstätten für nahezu fünfzehnhundert Menschen, den durch Jahre gemeinschaftlicher Arbeit geschaffenen Wohlstand, die Schulen, die Kindergärten, das Krankenhaus. Der Weg an diesen von Leben erfüllten Häusern entlang, dieser Weg über Land, das fast siebenhundertfünfzig Jahre lang brachgelegen hatte, wurde für Cullinane zum Erlebnis: Dieser Staat Israel nahm plötzlich Gestalt an. Cullinane hörte aufmerksam zu, wie Reich ihm die Gründe für diese oder jene Maßnahme auseinandersetzte. Schließlich sagte der ehemalige General: »Was ich eigentlich mit Ihnen besprechen wollte, ist, wie es möglich wäre, meine Tochter an die Universität von Chicago zu bringen.«
»Das geht, wenn sie eine gute
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